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Stefan Erhardt (Hrsg.)

Fußballkritik

Das Beste aus 20 Jahren

DER TÖDLICHE PASS

dem Magazin zur näheren Betrachtung des Fußballspiels

Mit einem Nachwort von Jürgen Roth

VERLAG DIE WERKSTATT

STEFAN ERHARDT

Nähere Betrachtungen des Fußballspiels

Im Mai 1995 erschütterte ein schmales Druckwerk im DIN-A-5-Format die Magazinwelt. Drei Fußballliebhaber, in München vom Schicksal aufeinandergeworfen, hatten angesichts der unfreundlichen Übernahme der TV-Berichterstattung durch das Privatfernsehen keine andere Möglichkeit mehr gesehen, mit ihrem Ärger länger hinter der Tribüne zu halten – sie verschafften ihm Luft.

Angetan vom Charme der Fanzines, die damals vor allem in England sprossen, stellte man flugs ein Heftchen zusammen, nachdem man sich auf den Namen DER TÖDLICHE PASS geeinigt hatte – freundlich übernommen von jenen Privat-TV-Lautsprechern, welche mit rumpelnder und krachender Metaphorik die in ihren Ohren verschnarchte Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf werbeprospektartigen Hochglanz polieren wollten. Schon das Wort „Berichterstattung“ war ihnen vermutlich seit Jahren auf den – pardon, aber wir bleiben im Jargon – Sack gegangen.

Für zwei Mark konnte alsbald – einem kleinen Copyshop in München-Schwabing sei Dank – ein Exemplar (von 100) der Nummer eins da und dort erworben werden, und dass die drei Schreibenden mit Zuversicht, dass ihnen so bald die Themen nicht ausgehen würden, ans Werk gegangen waren, davon zeugte das in Klammern gesetzte „1. Jahrgang“.

Um nicht den Verdacht bei Interessierten zu schüren, es handle sich um ein Kriminal- oder Bergmagazin, setzten sie erklärend den Untertitel „Zeitschrift zur näheren Betrachtung des Fußballspiels“ dazu. Und verteilten erbost Ohrfeigen: „Eine zerstückelte Leich’ stinkt auch in kleineren Stücken gleich. Zum periodisch vorgebrachten Ansinnen des Privatfernsehens, die zwei Halbzeiten zu halbieren“ war eine Invektive überschrieben; mit „Von Eintagsfliegen und Dauerbrennern. Oder: Wer schon alles in der Bundesliga mitspielen durfte“ wurde durchaus selbstironisch eine „historisch-kritische Abhandlung“ versucht; Franz Beckenbauers Forderung nach mehr Kommerzialisierung des Fußballs nahm „Der Mensch ist eine Dauerwurst. Oder: Erkenntnisse aus der Chefetage“ auseinander. Those were the days. Und sind es noch heute?

Nach gut zwanzig Jahren wollten die drei Redakteure zum Jubiläum nicht nur kurz innehalten und auf ihr Tun zurückblicken, sondern das ihrer Meinung nach Beste aus fast 80 Ausgaben DER TÖDLICHE PASS in einem gedruckten Buch versammeln. Als roter Faden und Titel gleichermaßen drängte sich bei der Sichtung der Texte das Wort „Fußballkritik“ auf – kein definierter, kein akademischer, kein historischer Begriff, aber in Anlehnung an Gattungsbegriffe wie Literaturkritik oder Sportkritik (welch letzterer es sogar zwischenzeitlich zu einem Magazintitel, herausgegeben von Martin Krauß und Michael Bolten, schaffte) ist es derjenige, der unser intellektuell-akademisch, bisweilen literarisch verspieltes Treiben am besten charakterisiert.

Denn Kritik und Analyse bestimmen den PASS bis heute. Was sich nicht nur anhand dieses Buches, sondern der nach wie vor vierteljährlich erscheinenden Hefte nachvollziehen lässt. Oder im Netz unter www.dertoedlichepass.de.

Wie es weitergehen wird mit dem Fußball? Wir können nur Schlimmes ahnen. Wie es weitergehen wird mit dem Fußballspiel? Es wird alle Krisen überstehen und wie ein Solitär unter den Spielen glänzen.

Mit besonderem Dank an Bernd Beyer und Christoph Schottes vom Verlag Die Werkstatt, die uns dieses Buch ermöglicht haben.

Heft 2/1995

CLAUS MELCHIOR

Fußballspezifisches Dummdeutsch, Teil 1: Internationale Härte

Ist es bei einer deutschen Mannschaft im Europapokal mal wieder nicht so gut gelaufen (in den letzten Jahren also des Öfteren), beklagen Trainer und Funktionäre die „internationale Härte“, die ihren Jungs das Siegen unmöglich gemacht habe. So zuletzt unisono nach der 0:1-Heimniederlage des FC Bayern gegen Lokomotive Moskau in der ersten Runde des UEFA-Cups Uli Hoeneß („Man hat gesehen, dass international viel härter gekämpft wird, das waren unsere Spieler nicht gewohnt“) und Otto Rehhagel („Der Gegner hat hart attackiert, da guckten meine Jungs ganz erstaunt“). Und das eine Woche, nachdem Rehhagel wegen der zahlreichen Abstellungen von Bayern-Spielern für diverse international tätige Nationalmannschaften im Training kaum eine Skatrunde beieinander hatte.

Was können sie nur meinen? Glauben deutsche Fußballer, Trainer und Manager tatsächlich, in der Bundesliga würde weniger hart gespielt als in anderen europäischen Ligen, oder die Schiedsrichter würden bei Europapokalspielen großzügiger pfeifen als in ihren nationalen Meisterschaften? Anhaltspunkte dafür, dass dem so sein könnte, gibt es kaum.

Nein, hier manifestiert sich ein jahrhundertealtes Trauma. Der Deutsche ist bekanntlich aufrechten Charakters und blickt dem Feind geradeheraus ins Gesicht, doch immer wieder hat er es mit Gegnern zu tun, die vermeintlich anders sind, wie die hinterlistigen Welschen oder das perfide Albion. Auch der Südländer ist verschlagen, und östlich der Heimat beginnt, ist man ehrlich, eigentlich doch schon fast Asien.

Angesichts der starken D-Mark und der kürzlichen Rückgewinnung der nach dem Krieg abhandengekommenen sozialistischen Hälfte des Vaterlands ist es heute natürlich nicht nötig, ob der Phalanx der das arme Deutschland umringenden Feinde wie früher gleich in den Krieg zu ziehen, aber auf dem Fußballplatz manifestiert sich der Neid der anderen eben in jener internationalen Härte, deren Opfer immer wieder unverdientermaßen unschuldige deutsche Fußballspieler und -vereine werden.

Die Konsequenz aus diesem Befund: Deutschland braucht nicht nur einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, sondern vor allem Franz Beckenbauer als FIFA-Präsidenten.

Heft 5/1996

STEFAN ERHARDT

Kommentatorenzensur

Ab und an regt sich Widerspruch: gegen die inflationären Stereotypen an den Stadionmikrofonen. Aber da ist kein Einsehen, keiner gelobt Besserung. Die schiefen Metaphern werden weiter verbogen, die verqueren Phrasen noch ärger gedroschen. Es hilft nur noch: Zensur!

Mit sofortiger Wirkung ist deshalb aus jeglichem Kommentatorenwortschatz zu streichen:

à la bonheure

aber letztendlich nicht unverdient

Abstiegsstrudel

alle Zeit der Welt

allein auf weiter Flur

ans Außennetz

arg gebeutelt

bis dato

Chancen en masse / zuhauf

das nötige Quäntchen Glück

Schiedsrichtergespann

den Turbo einschalten

die langen Kerls

Druck machen

ein torloses Nullzunull

Glanzparade

einmal mehr

es blieb am Ende beim

Filigrantechniker

Geläuf (tiefes)

das weite Rund

glückliches Händchen

kalte Dusche

trockener Schuss

letzte Aktion vor der Pause

Luftkampf

macht (keine) Anstalten

Nickligkeiten

Pausentee

probates Mittel

Schlussoffensive

Schmuckkästchen

schwarze Perle

sein können, JA müssen

sie, die fußballlose Zeit

sorgenvolle Miene

Stimmen zum Spiel

streicht um Zentimeter vorbei

symptomatisch

Fehlanzeige

Torschützenkönig

tut gut daran

überschlagen sich förmlich die Ereignisse

Vollstrecker

vorderste Spitze

wuchtiger Kopfstoß

zweiter Sieger

Heft 5/1996

STEFAN ERHARDT

Abt. Artenschutz: Denn sie wissen nicht, was sie fragen!

Vor Kurzem kam vom DFB der ungewöhnliche Vorschlag, die Interviews unmittelbar nach Halbzeit- und Abpfiff zu verbieten. Die Begründung allerdings, den Spielern werde hier teil- und unverschämterweise Unsägliches zugemutet, ist nur vorgeschützt. Es geht in Wahrheit um die Figuren hinter den Mikrofonen.

Denn es ist so: Oft stellt ein publizitätsfrohes Medienstarlet überfallartig seine Fragen, nicht etwa, um etwas in Erfahrung zu bringen, sondern um als Pausenclown die Lücke zwischen den Werbeblöcken zu füllen. Dementsprechend fallen dann auch die Fragen aus („Wie haben Sie das Tor in der 40. Minute gesehen?“). Nicht mehr lange wird es dauern, bis entweder treudoof oder spitzbübisch, jedenfalls mit genervtem Sarkasmus entsprechend geantwortet wird: „Gar nicht – ich war grad mit dem Gegner beschäftigt…“ oder „Nur sehr undeutlich – der Schiri stand im Weg…“.

Vor allem diejenigen Sportinquisitoren gehen auf die Nerven, die in falschem Verständnis von Diskurs als selbstreferentiellem Egotrip mit eingebauter Konfliktentschärfung solche Fragen stellen, welche die Antwort gleich mitenthalten: „Ihr habt in den ersten 20 Minuten sehr verhalten gespielt; lag’s daran, dass ihr zu viel Respekt hattet, der Gegner hat ja die letzten fünf Auswärtsspiele alle gewonnen, um nicht gleich ins offene Messer zu laufen, oder war die Devise, möglichst kein frühes Tor zu kassieren?“

Was soll da einer, verschwitzt, ausgepumpt, mit den Gedanken womöglich noch beim letzten Pfostenschuss, antworten, ohne wie der letzte Hohlkopf zu erscheinen? „Na gut, wir haben am Anfang erst mal das Tempo rausgenommen, weil wir wussten, der Gegner ist auswärts sehr stark, und bei ’nem frühen Gegentor wären wir gleich ins offene Messer gelaufen …“ Oder bringt’s einer doch mal fertig, den Blick stumm gen Himmel zu wenden, kurz auszuspucken und zurückzugeben: „Wollen Sie noch so ’ne brillante Frage stellen oder lieber gleich Werbung machen?“

Zum Teil wird gottlob jetzt schon von manchem Spieler in solchen Frage-Quickies kräftig zurückgeraunzt („Was soll die dumme Frage?“). Wenig wundern würde mich, wenn auf eine Frage wie „Na Mario, beim Gegentor von Holzmann haben Sie sich aber wie ’ne Schülermannschaft angestellt, oder?“ eine be- wie handgreifliche Antwort käme (Mario: [Pow!] – Reporter: „Davit gev ich erftma furück inf Fendefentrum nach Mainf…“).

Ja, ich prophezeie es hier und heute, wenn diese verkabelten Sportspeak-Inquisitoren mit ihrer beckmannschen Nassforschheit, ihrer hansch’schen Vulgärik und hartmannesken Stammtischlerei weiterhin ihre verfaulten Sprechbretter vorm Kopf zurechthobeln, werden nicht nur Späne fallen, sondern Menschen. Und zwar um. Mit richtig Nase putt, Auge blau, Backe dick, Stiftzahn im Mikrofon.

Aus diesem Grund: Schützt die Jungreporter! Bewahrt die alten Wortführer vor üblem Mitspiel! Keine Interviews in der Halbzeitpause, keine nach dem Spiel. Und schon gar nicht im Gang zur Kabine – Mensch, die Kerle sind 45 Minuten draußen gerannt, der Kreislauf war mächtig in Schwung, die Niere hat kraftvoll gearbeitet … die Jungs wollen vielleicht ganz dringend ganz woanders hin! Und da kommt ihr und fragt, ob sie nicht hätten mehr Druck machen können! An die DFB-Funktionärsblase: Es besteht Handlungsbedarf!

Heft 7/1996

CLAUS MELCHIOR

Fußballspezifisches Dummdeutsch, Teil 2: Über den Kampf zum Spiel

Häufig, vor allem wenn ein vermeintlich fußballerisch weniger begabtes Team einen scheinbar übermächtigen Gegner besiegt hat, ist aus den Reihen des Davids zu hören, man könne zwar nicht so gut Fußball spielen, habe aber über den Kampf zum Spiel gefunden und so die Sensation vollbracht. Nicht wenigen scheint dies unmittelbar einzuleuchten, und auch von Berichterstattern wird das Klischee gern übernommen.

Was aber verbirgt sich eigentlich hinter diesem Satz? Letztlich handelt es sich um eine Banalität, denn es liegt auf der Hand, dass man vielleicht im Training das Fünf-gegen-zwei rein spielerisch betreiben kann, dass aber der Versuch, im richtigen Spiel den Ball ins Tor zu befördern, auch von spielerisch starken Mannschaften ein gewisses Maß an Einsatz und Rennerei verlangt. Auch Real Madrid hat die Frankfurter Eintracht im legendären Meistercup-Endspiel von 1960 vermutlich nicht ganz ohne Schweißvergießen besiegt.

Schlimmer scheint mir, dass genau jenes Klischee von vielen als die Basis deutscher Fußball-„Kunst“ verstanden zu werden scheint. Hier mag die Erinnerung an die „Helden von Bern“ eine Rolle spielen, denen es mit „deutschen Urtugenden“ gelang, dem hochfavorisierten ungarischen Wunderteam ein Bein zu stellen. Aber war nicht der Kopf dieser Mannschaft, Fritz Walter, ein Spieler, der dem Klischee sicher nicht entsprach? Und was ist davon zu halten, wenn ausgerechnet der Antityp des deutschen Fußballmalochers, Franz Beckenbauer, behauptet, dem Deutschen seien nun mal nicht die Fähigkeiten des Brasilianers in der Ballbehandlung gegeben? Wenn von „dem Deutschen“, „dem Russen“, „dem Amerikaner“ die Rede ist, heißt es, allemal wachsam zu sein, denn selbstverständlich gibt es „den Deutschen“, „den Russen“, „den Amerikaner“ genauso wenig wie „den Brasilianer“, dem anscheinend ein besonderes Fußballgen die Fähigkeit, den Ball zu streicheln, in die Wiege legt.

Warum herrscht in Deutschland die Bereitschaft vor, Fußball als Arbeit zu begreifen und das spielerische Element allenfalls als Sahnehäubchen? Sicher, wer mit der Nationalmannschaft der Achtzigerjahre aufgewachsen ist, mag vielleicht entsprechend geprägt worden sein, aber wir Älteren, die zu Zeiten der Teams von ’66, ’70, ’72 und auch noch ’74 zur Schule gegangen sind, können uns doch durchaus an Mannschaften erinnern, die sportliche Erfolge mit gepflegtem Fußballspiel errangen. Muss sich ein Land diesen Stiefel anziehen, das Spieler hervorgebracht hat wie Fritz Walter, Franz Beckenbauer, Günther Netzer, Wolfgang Overath, um Genies zu nennen, die das Leder wirklich streicheln konnten? Aber auch dahinter fallen einem mit Helmut Haller, Jürgen Grabowski, Stan Libuda, Felix Magath (ja, der war ein ganz ordentlicher Fußballer), Karl-Heinz Rummenigge, Pierre Littbarski, Hansi Müller, Karl-Heinz Flohe, Olaf Thon, Wolfram Wuttke und natürlich auch Thomas Häßler und Andy Möller reihenweise Spieler ein, die mit dem Ball umgehen konnten und können, auch wenn nicht alle daraus die bestmögliche Karriere gemacht haben.

Nein, die Vorstellung, nur in Südeuropa oder Lateinamerika wüchsen Spieler heran, denen es gegeben sei, Fußball zu „spielen“ anstatt zu arbeiten, ist genauso rassistisch wie die Vorstellung, dem Neger liege halt der Rhythmus im Blut (Näheres dazu in Gerhard Polts Sketch vom Herrn Tschabobo). Holland liegt auch nicht im Süden, und die Holländer spielten schon mit Cruyff einen technisch hervorragenden Fußball, also bevor die Mannschaft von Spielern dominiert wurde, deren Wurzeln in die ehemaligen Kolonialgebiete zurückreichen. Der Prototyp des deutschen Fußballmalochers, Berti Vogts, war paradoxerweise vor der EM auf dem richtigen Weg, als er neben dem Sieg auch die spielerische Leistung zu einem wichtigen Kriterium erklärte (die Umsetzung ist natürlich schwierig, wenn die Herren Möller und Häßler partout nicht mitspielen wollen).

Ein weiterer Schritt wäre es, wenn man in Deutschland davon abkäme, die banale Selbstverständlichkeit, dass zum Fußball auch Einsatzwille gehört, durch Phrasen wie „durch den Kampf zum Spiel finden“ zum alleinigen Credo eines typisch deutschen Fußballverständnisses zu erklären, um damit den Glauben an die eigene Fähigkeit, auch Fußball-„Spieler“ hervorbringen zu können, zu unterdrücken.

Heft 7/1996

STEFAN ERHARDT

r/analyse. Eine nähere Betrachtung der einschlägigen SAT.1-Belangsendung

Freitagabend, Datum belanglos, 1996 – wir wollen’s sehen, wir wollen’s wissen, wir wollen dabei sein, wir: schalten ein. Bilder, Marsch! Und schon vollführen im Computer erzeugte Athleten Akrobatisches am im Computer erzeugten Ball auf im Computer erzeugtem Rasen und schießen vor im Computer erzeugten Zuschauermassen (alle Computerränge natürlich bis auf den letzten Speicherplatz besetzt) spektakuläre im Computer erzeugte Tore, die im Computer erzeugten Torhüter sind machtlos gegen solche glänzenden im Computer erzeugten Schüsse, und der im Computer erzeugte Jubel ist grenzenlos – es schallt und raucht noch, als schon längst der Zuschauer eine vor’n Bug gekriegt hat von BECK’s männlichmarkantbraungebrannter Stimme: „ran – SATeins Fußball, ein Genuss mit Beck’s“.

Nicht von Fußball wird diese Sendung handeln, sondern von einer speziellen Spielart, dem SATeinsFußball. Der SATeinsFußball muss demnach Merkmale besitzen, die ihn vom ordinären Fußball absetzen, und es ist nicht nur das Bier allein, das hier prominent und drogenmächtig Besonderheit signalisiert. Wie es auch kein Zufall ist, dass genau zeitgleich zum Wort „Genuss“ im Bild zwei grüne (!) Flaschen Bier vor nackten, minimalstberockten Frauen- beziehungsweise Mädchenbeinen phallisch und V-förmig das entsprechende Sendungsbewusstsein schaffen. Merke: An dieser Sendung wurde nichts dem Zufall überlassen.

Die bunten Fahnen wehen: „Der neunte Spieltag – DAS Fußballfest am Freitag!“, verkündigt die satt-beck’s-geölte Off-Stimme, dass nun wieder die Zeit des Feierns angebrochen sei, der Freitag während der Saison ohnehin mindestens für eine Stunde am Abend dem SATeinsFußball gehört, und nun gibt es neben den normalen SATeinsFußball-Freitagen noch einen besonderen Feiertag. Aber warum?

Kameras, die auf Rasen zurasen – „Balakov fit – Elber frei – Dreieck komplett: Stuttgart gegen Freiburg.“ – „Zum 250. Mal auf der Bank – Daum will zum Jubiläum auf Platz eins: Leverkusen gegen Rostock.“ – „Dortmund ohne zehn – na und? Ein paar Meister sind noch da – zum Revierderby in Bochum.“ – „Bundesliga in ran – heute mit Jörg Wontorra.“ Wir verharren vor den Lochgittertüren des ran-Studios, die gleich, altbekanntes Ritual seit anno Kulenkampff, sich uns und dem Moderator das Sesam öffnen werden.

Zurück zum Anreißertext. Das ran-Sprachprinzip wird bereits auf der Grundlinie sichtbar: Schlagwörter, Superlative und Baustellenjargon. Dieser „Stilmix“ wird uns durch die gesamte Sendung geleiten. „Ooooooonnd daaa sendwerdennauch! Ein wunderschöngunAbnd!“ – nein, kein „allerseits“, dennoch setzt der tosende Applaus ein, der sicher vor der Sendung mehrmals eingeübt worden ist, während die Kamera vollgas an Jörgs Gesicht ranfährt, so dass alle 57 Lachfalten in der extremgedehnten Visage genau zu studieren sind.

Gab es früher nicht Personality-Shows? Genau das gibt es hier: Das Studiopublikum begrüßt nicht die nun folgende Berichterstattung, sondern die Jörg-Wontorra-Show. Fast eine halbe Minute (29 Sekunden) dauert der Beifall (oder soll man sagen: wird der Beifall gefahren?), bis Jörg nach mehreren Dankeschöns und Kopfnickern die beinahe schon olympische Aufforderung loslässt: „Drei Spiele heute Abend – lasst uns anfangen.“ Fehlt noch: „…, Kinder!“, denn seine Stirn legt sich plötzlich in tiefe Sorgenfalten, weiß er doch als erfahrener TVler, wie leicht die Kindergeburtstagspartystimmung überschwappen und die Werbeblöcke sprengen kann.

Das walte Papa Jörg – mit einem pädagogischen Trick. Es geht nämlich nicht los mit einem der drei Spiele, sondern ein nettes Geschichtchen will vorher noch zum Besten gegeben sein. „Die Bundesliga, liebe Zuschauer, hat schon wieder was Neues: Eine Trainerentlassung wie aus heiterem Himmel. So jedenfalls muss den Außenstehenden der Sturzflug von Jörg Berger bei Schalke 04 vorgekommen sein. Stimmt allerdings nicht so ganz, denn zwischen Trainer und Mannschaft gärte es schon seit Langem, nur, die Öffentlichkeit, die hat davon nichts erfahren. Genau das aber ist zurzeit das Dilemma in Gelsenkirchen: Früher, da haben sie geredet ohne Ende, da gab’s überhaupt keine Geheimhaltung, und deshalb war Schalke 04 Skandalklub Nummer eins. Heute dagegen schimpfen die Fans, dass durch zu lange Geheimhaltung sie nicht auf dem Laufenden waren, dass zwischen Mannschaft und Trainer die Chemie eben nicht stimmte. Wie man’s macht, macht man’s verkehrt, aber darum war es umso wichtiger, dass sowohl die Spieler als auch der Manager heute Klartext geredet haben.“ Folgen die entsprechenden Interviews.

Wir folgen noch einmal dem Text: Vor dem Spielalltag also die Sensation („schon wieder was Neues“), wobei diese quasi superlative Wendung spätestens im dritten Satz („stimmt allerdings so nicht ganz“) vom Sprecher selbst wieder desensationalisiert wird. Wozu also diese Einleitung? Verwiesen werden soll auf einen ganz anderen Umstand: nämlich auf die mangelhafte Informationspolitik dieses Vereins. Verbal gerät das zur Anklage qua Emphase („nur die Öffentlichkeit, die“) mit folgerichtiger Verunglimpfung („Dilemma“, „Skandalklub Nummer eins“), folgerichtig zumindest in den Augen der Öffentlichkeitshersteller von Beckmann und Konsorten, denn auch sie hat ja keiner vorher informiert. Empörend, das!

Nach der Volksweisheit präsentiert sich ran dann bescheiden („war es“) als Retter in der Informationsnot, wobei sich der versprochene „Klartext“ zum Beispiel seitens des Managers dann so anhört: „Es sind Punkte, die schon mal vor einem halben Jahr angesprochen worden sind; so. Und das ist hier sicherlich die entscheidende Geschichte mit gewesen, dass man gesagt hat, okay, man hat vor einem halben Jahr schon diese Dinge angesprochen, und, äh, die sind nicht, sag ich mal in dieser Form, äh, abgearbeitet worden…“ Alles klar im Text? Danke, wir sind voll auf dem Laufenden.

Wieder unser Jörg: „Also doch eine Trainerentlassung, ja, die für Insider nicht wirklich überraschend gekommen ist. Morgen übrigens wird Jörg Berger dann Rede und Antwort stehen. Und wir kommen nahtlos zur ersten Partie des heutigen Abends, der VfB Stuttgart gegen den Sportclub Freiburg.“ Punkt. Drei Minuten vorbei, vertan mit einer Information, die eigentlich keine war. That’s infotainment, ladies and gentlemen, wobei die besseren Hälften, wie gleich zu zeigen sein wird, ja vielleicht gerade mal hinter dem Spülbecken hervorgelugt haben dürften.

Nahtlos werden dann die Stuttgarter „Stars“ angekündigt, aber kein Wort über die Freiburger; Erniedrigung durch Nichtbeachten? Da ist es wichtiger, den Abschied von Günther Schäfer zu feiern. „Reinhold Beckmann über einen letzten Zungenkuss auf Schwäbisch“ – was als witzige Formulierung gedacht war, ist lediglich abgeschmackt und völlig daneben. Ein „Zungenkuss“ assoziiert kommunistische Begrüßungsrituale zwischen zwanghaft politisch verbundenen Staatsmännern; mag man über Mayer-Vorfelder, auf den das Wort gemünzt ist, denken, was man will, aber dieser Bezug ist denn doch so schlüssig wie der zwischen Igel und Klobürste.

Mit den Worten „Ende einer Dienstreise“ leitet Reinhold B. seinen Beitrag ein, gleich doppelt daneben, denn Bölls Roman handelt klar und deutlich von einer Dienstfahrt, und selbst wenn man Herrn B. ein wenig dichterische Freiheit zugesteht: Schäfer mag zwar „einer, der nie aufgab“ sein, beim besten Willen aber ist nicht einsichtig, was er mit Georg Gruhl, Bölls Protagonisten, gemein haben soll. Hat er übertragenermaßen einmal das Tor des Gegners angezündet? Andererseits: So genau wollen wir’s, bitteschön, nicht nehmen, der Böll ist ja auch schon ein paar Jahre tot, nicht wahr?

Stuttgart gegen Freiburg. Erfahren wir jetzt, während des Spielberichts, etwas von den Freiburgern? Ja, und Atemberaubendes: „Freiburg von rechts nach links, heute wieder mit Harry Decheiver im Sturm; Fußball, wie es der VfB mag, schneller Gegenangriff.“ Sie sind so schlau als wie zuvor? Richtig, denn der Unsinn hat Methode. Es geht nicht ums Spiel, nicht darum, wie ein Spielzug sich entwickelt, wie der einzelne Spieler agiert, das Spiel insgesamt sich entwickelt hat; es geht um Tore, Trubel, Sensationen. Reinhold B.: „Schulmäßig, dieser Kopfball – kommt her und umarmt mich, bereits beim zweiten Mal hat es geklappt!“, und gezeigt wird ein jubelnder Bobic, dies ganze 22 Sekunden lang, während die eigentliche Torszene inklusive Eckball auf 23 Sekunden Sendezeit kommt. Die Tendenz wird deutlich.

Weiter Reinhold B.: „Wohlfahrt geht nicht zum Ball – und ir-gend-wie ist die Kugel im Netz! Harry Decheiver, lange hatte er kein auslösendes Moment mehr, der Knipser, hier aber gelang ihm ein echter Schnappschuss!“ Die Kommentierung wird zum Selbstzweck: Es geht nicht um die erläuternde Darstellung des im Bild gezeigten Sachverhalts, sondern um die verbale Selbstdarstellung des Kommentierenden – vermeintliches Reportieren als Instrument zur Beförderung der Reportereitelkeit. Auch hier das gleiche Zeitverhältnis: 28 Sekunden Torszene inklusive Wiederholungen, 26 Sekunden jubelnder Torschütze respektive bedröppeltes Trainer- und Torwartgesicht. Nicht mitzusehen, mitzujubeln sind wir da.

Auch brenzlige Situationen weiß Reinhold B. sprachlich elegant im Sinne der Sendung zu entschärfen. Vorfall: Bobic wird im Strafraum von einem Freiburger Abwehrspieler im Fallen umklammert, so dass er nicht mehr aufstehen und an den freien Ball kommen kann, den sich dann der Torwart schnappt. Kommentar: „Hier sieht man noch, dass Thomas Rath den Würgegriff angesetzt hatte, aber eine Elferentscheidung wäre zu viel des Guten gewesen, ein typischer Zweikampf im Strafraum.“ Eine andere Tagesform und drei Bier mehr, und er hätte vehement „ein deutliches Foul – eine klare Fehlentscheidung des Schiedsrichters“ reklamiert.

Die beckmannsche Kommentierung bietet jedoch wesentlich mehr, als der erste Höreindruck vermuten lässt. Dialektische Aufhebung praktiziert seine Zunge – Thema: Härte. „Hier ging’s zu wie beim munteren Skatabend: einige Akteure waren dabei, kräftig zu überreizen.“ Oder: „Wir zählen zusammen: sechs Gelbe, eine Rote, und wir sind noch in der ersten Hälfte! Mehr als noch im letzten Jahr, und das Derby war schon ein ganz hartes …“ Und: „Weiterhin aggressives Zweikampfverhalten, aber richtig unfair war’s eigentlich überhaupt nicht: ein richtiges Kampfspiel mit spielerischen Raffinessen.“ Also: Die Spieler waren drauf und dran, sich die Köpfe einzuschlagen, aber das ziemlich fair. Das erinnert fatal an geläufige Volksvertreterrhetorik: Die Steuern werden erhöht, aber Sie zahlen weniger.

Es geht aber, wie gesagt, gar nicht um einen Spielbericht, sondern um das Feiern von Stars, um Entertainment. „Blendende Fußballunterhaltung im Gottlieb-Daimler-Stadion, und dann war Schluss.“ In dieselbe Kerbe lassen die Regisseure dann auch Elber schlagen, indem gerade diese seine Aussage an den Schluss geschnitten wird: „… un’ heute Spiel hier hat gezeigt: wir sin’ gut drauf.“ Applaus, Applaus – 19 Sekunden lang, von den Studiokermits, sodass auch Jörg noch einen drauflegen muss: „Hat Ihnen gefallen hier, gell?“ Wir lieben unsere Stars und unsere Starreporter vom SATeinsFußball.

Doch halt – vor der Werbung noch einen aus der Superlativ-Statistikkiste: „26 Treffer haben die insgesamt schon erzielt, und diese 26 Treffer, das ist bisher schon mehr als Düsseldorf, St. Pauli, Bielefeld und Duisburg zusammen erzielt haben!“ Wer hätte das gedacht! Wussten Sie übrigens schon, dass die Rückennummern aller VfB-Torschützen zusammengerechnet mehr sind als die Summe der Körpergrößen aller MSV-Spieler in ganzen Metern? Na sehen Sie.

Lassen Sie uns werben jetzt – auch das Teil des SATeinsFußballs. Zunächst „in eigener Sache“: „Die Nationalmannschaft von Armenien – Berti auf dem Dach der Welt: Der Euro-König in Nepal – und: ‚Die Prinzen‘ zu Gast im Studio.“ So könnte es natürlich in BamS stehen; die Medienwelt ist klein geworden, fürwahr. Jetzt aber wirklich Pause, ganze sechs (6) Minuten lang für Bier, Auto, Schuppenmittel, Herrenduft, Tankstelle, Rasierwasser, Auto, Aktien, Bier, Farbfilm, Rasierer, Auto, Sekt. Merken Sie was? Frauen sind in dieser Sendung werbetechnisch nicht vorgesehen. Das wenn die gute Gabi Papenburg wüsste!

Egal, zurück, „Wir sind wieder da …“, Applaus-Applaus dem Jörg, der uns in den nächsten SATeinsFußball-Unterhaltungsblock einführt. Besprochen wird – wir erinnern uns und wundern uns nicht mehr – die Mannschaft der Leverkusener respektive ihr Trainer, denn der absolviert das 250. Spiel in dieser Position. „120-mal davon hat er gewonnen,“ gepriesen sei die Datenbank, wie gut ist auf ihr ruhen, nur die Schlussfolgerung von Thomas Klemenz („hat also immer fast alles richtig gemacht“) mutet verquer an – „immer fast alles richtig“ ist genau genommen ein eben solches Armutszeugnis wie „selten alles falsch“.

Was erzählt uns Thomas K. vom Gegner? „Hansa Rostock in Blau hier mit Zallmann“ – ah ja, das muss die Beckmann-Schule sein. Weiter Erhellendes aus dem Spielverlauf: Freistoß der weißtrikotierten Leverkusener vor dem Rostocker Tor, „Hansa also jetzt in der Abwehr, und die Bayer-Mannschaft im Angriff “. Dies wohl als Serviceleistung für die Farbenblinden unter den Zuschauern. Tore in ihrer Entstehung und Ausführung werden fachmännisch so kommentiert: „Ecke von Bayer – – und dann isser drin! Da isser drin! Neun-und-vier-zig-ste Minute…“ – als sei eben gerade die Minute das Wesentliche an diesem Tor, eben DASS es gefallen ist, nicht WIE. Natürlich können wir alle sehen, was da auf der Mattscheibe läuft, aber wir sehen ja eben nicht alles, und dafür wäre doch eigentlich der Reporter da, um uns diejenigen Informationen zu geben, die wir nicht im Stadion Gewesenen – und selbst wenn, nicht alles sehen Könnenden – gerne hätten, um uns ein Bild von diesem Spiel zu machen. Aber darum geht es wohl nicht.

Es geht um Hochrechnung. „Vier zu eins gegen Rostock, fünfter Sieg gegen Rostock, fünfter Sieg in Folge“ – das ist so wesentlich wie die neue Frisur des Platzwarts. Was aber auf keinen Fall beim SATeinsFußball fehlen darf: die „Stimmen zum Spiel“, und die kommen nicht etwa von den Beteiligten, sondern „von und mit Boris Stark“. Kennen Sie Boris Stark? Eben.

Die nächsten Minuten gehören dem Werbeblock und Bier, Auto, Aktien, Mobiltelefon, Bier, Tankstelle und Wodka – alles, was ein Mann braucht. Diesmal grient uns Jörg schon nach vier Minuten wieder entgegen, um die Dortmunder Stars („alles Namen, die auf der Gehaltsliste von Borussia Dortmund stehen“) gegen die Bochumer im „Revierderby“ antreten zu lassen, begleitet vom unnachahmlichen Werner Hansch. „Schöne schwarze Locken, überhaupt ein hübscher Bengel, dieser Jovan Kirovski, zwanzig Jahre ist er alt, dieser smarte US-Boy kroatischer Herkunft…“ – nein, wir sind nicht auf der Kontaktseite des Playboy. Werner H. gehen nur die H.ormone durch. Was das mit Fußball zu tun hat? Nun, das sollte eine h.umorige Einführung für ein „Nachwuchstalent“ sein, das dem Werner auch im Spiel gut gefallen hat, ohne dass er allerdings so genau sagen kann, warum. Also doch wegen der Locken? „Ich denke mal, der hat hier für seinen ersten Einsatz schon schöne Aspekte reingebracht.“ Ähhhh, ja.

Nachdem fünf Möglichkeiten der Dortmunder gezeigt wurden – „also die Chancen eigentlich nur auf Seiten des VfL Bochum“ – bereitet Werner H. mit dem Schlachtruf „WOSZ! Immer wieder WOSZ!“ den Treffer des Abends vor. Ein geflügeltes Wort, von Otmar Hitzfeld im Bild abgelauscht, kommt dem Ruhrpottpouristen dazu gerade recht in den proletarisch offenstehenden Mund: „‚Scheiße‘ – das woll’n wir uns mal merken – ‚Scheiße‘: Es gibt einen Freistoß für den VfL Bochum – Wosz – und Tomasz Waldoch nach 60 Minuten das eins zu null.“ Und sogleich die metaphorische An- und Umwendung: „Ich möchte Otmar Hitzfeld nicht noch mal zitieren, aber es passt wie die Faust aufs Auge.“ Wie bitte? Scheiße passt wie die Faust aufs Auge? Da schlägt sich der Gast mit Grausen den Boden ins Gesicht, oder so ähnlich.

Sein technisches Know-how auf der Höhe der Zeit beweist unser Mann dann im obligatorischen Personality-Clip der Halbzeitpause. „Dieser Mann hatte heute Abend Premiere, Matthias Sammer, er hat im Moment nur ein gesundes Bein, das kranke konnten Sie diese Woche im Internet besichtigen, Sportmedizin auf dem elektronischen Jahrmarkt …“ – so, und hoppla, jetzt kommt der moralische Mittelfinger: „…, widerlich!“ Weiß Werner H., wovon er spricht? Er, Verbalstalinist der clownesken Art und somit ganz und gar einer unter vielen bunten Lockvögeln auf dem Jahrmarkt der (elektronischen) Eitelkeiten? Er, dem in einer seiner künftigen Reportagen durchaus ein Versatzstückchen wie „Ein geiles Foul!!“ zuzutrauen wäre? Biederlich.

Werner H. kann allerdings auch philosophisch. Ja ja, hättense nich’ gedacht, wa? Keiner kann so wie er nackte Zahlen ins rechte Verhältnis ihrer gesellschaftspolitischen Dimension zwingen: „36.400 Besucher, endlich mal wieder ausverkauft, das sind die wahren Helden des Alltags, liebe Zuschauer…“ Aber können wir Durchschnittszuschauer uns die Anspielung auf DDR-Zeiten („Helden der Arbeit“) von einem Bediensteten eines profitorientierten Privat-TV-Unternehmens erklären?

Das Spiel endet, das Bild zeigt Spieler, die aufblasbare Plastikhämmer in die Kabine tragen, und Werner H. entlässt uns mit einer letzten Schlüpfrigkeit für heute aus seinem Ruhrgebiet: „… aber ein Hammer, ein Hammer war’s nicht, dieses Revierderby, aber vielleicht hat der Jörg Wontorra ja ’n Hammer im Studio!“ Was Jörg gerade noch so parieren kann, indem er („heh-heh… und der hat zumindest ’n Kompliment, Werner…“) ganz gentlemanlike den grünen Glücksklee streut.

Folgt die Zusammenfassung des Spieltags. Ein Aufhänger dafür muss her, je abwegiger, desto SATeinser. Diesmal: „Wie passen die Bundesliga, der Bundesfinanzminister und Vicky Leandros zusammen?“ Keine Witzfrage, it’s infotainment, stupid … Antwort: „Heike Weigert und Dirk Frohberg werden Ihnen das verraten.“ Wer bitte sind Heike Weigert und dieser Frohberg Dirk? Doch was kümmert uns die Schar der namlosen Datenbankangestellten, wir wollen nach den fabelhaften Ballgeschichten endlich die Moral – und gütig reicht sie uns Vater Jörg: „Der SPIELtag“, liebe Kinder, „der Spieltag …“ Mehr sagt er nicht, denn nun heißt es aufpassen und mit dem Chipstütengeraschel aufhören.

Los geht’s im SchweinsTVgalopp. Zunächst trifft uns Tante Vickys brüllige Knautschlacklederstiefelstimme mit „THEO“ tief ins Mark, dann erscheint ERSELBST, Theo Waigel, bergwandernd (???) und im 60er-Käppi wie frisch vom Kostümball. Gnadenlos wird nun alles arbeitsmarktmetaphorisch von Heike und Dirk zu Tode geritten. Streiks, Sparpaket, „der soziale Friede scheint in Gefahr – auch auf dem Platz“, „Arbeitskampf – Zwangsurlaub – und einer wurde sogar ausgesperrt“, dazwischen O-Ton O. Lafontaine („Wo wird denn hier gespart? Reden Sie doch nicht einen solchen Unsinn“), Off-Ton: „Die Opposition hat recht: In der Liga wurde heute geklotzt und nicht geknausert“, und wem der hirnrissige Schwachsinn immer noch nicht reicht, der erhält nach Abstechern über Elber und Eckfahnen, Wiedervereinigung, Kalter Krieg und Lothar Matthäus, Blüm, FKK und Jörg Berger sowie Votavas fundamentalscholastischer Erkenntnis zum Trainerlehrgang („wo man … äh … jetzt … äh … wirklich 15 beziehungsweise 20 Jahre jetzt … äh … nur Fußball gespielt haben, dann ist es natürlich, fällt es natürlich einem schwer, sich erst mal wirklich … äh … ein Buch zu Gemüte zu führen“) den Rest. „Die Großverdiener dürfen jubeln – Senkung des Spitzensteuersatzes. Theo hat ein Herz für Spieler: ‚[O-Ton] Ich hab immer schon gesagt, lieber ein echter Sechziger als ein falscher Fuffziger.‘ Vielen Dank!“ Was für ein Schenkelklopfer, und Jörg erklärt noch dem Letzten den Zinnober: „Wer sagt denn, dass Politik nicht unterhaltsam sein kann …“ Haben Sie’s gemerkt? Da war es wieder, das entscheidende Wort – unterhaltsam.

Eigentlich könnte die Sendung damit vorbei sein. „Drei Spiele heute Abend“ – Sie erinnern sich? Jetzt, vor Ende der Sendung, kommt das vierte. „Schnell ein Sprung in die zweite Liga“ – wahrlich schnell, denn der „Spielbericht“ kommt mit schnörkellosen 90 Sekunden aus. Aber wen interessiert denn auch zweitklassiger Fußball, wo SATeinsFußball so viel schöner sein kann?

Die Schnellmeldung noch: „Marc-Kevin Goellner und Bernd Karbacher haben jeweils das Halbfinale im ATP-Tennisturnier von Marbella erreicht.“ Mit dieser fußballfernen, aber ganz ins Großverdienerische passenden „Nachricht“ verlässt uns unser Moderator endgültig, „danke schön, tschüüß, schön’ Abend“, irrt kurz noch durch die Kulisse, der Regler seines Mikros ist noch auf („ach DA muss ich rauf “), und ab durch die Zuschauermitte, zurück in die Asservatenkammer.

Noch ein paar Worte zum Zeitrahmen. Von 60 Minuten Gesamtsendezeit fielen gerade mal 32 handgestoppte Minuten für „Spielberichte“ ab – das sind 53,3 Prozent. Der Werbung gönnte man 14 Minuten, also 23,3 Prozent, sodass unterm Strich sage und schreibe 14 Minuten lang die heiße Luft des Moderators durchs Studio wehte. Bedenken Sie: Man hätte getrost alles in eine halbe Stunde packen können – und wäre so schlau als wie eine halbe Stunde später gewesen. Die SATeinser als time bandits – und das in einer Zeit, in der keiner mehr welche hat. Wir schalten um? Wir schalten ab.