Mami 1848 – Uns beide kann nichts erschüttern

Mami –1848–

Uns beide kann nichts erschüttern

Roman von Eva-Maria Horn

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER DIGITAL GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert, Oliver Melchert, Mario Melchert

Originalausgabe: © KELTER DIGITAL GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.kelterdigital.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-137-9

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Bürgermeister Wagenfeld sah wütend auf, als an der Tür geklopft wurde.

»Ich will nicht gestört werden«, brüllte er. Die Tür öffnete sich trotzdem. Aber als er seine Tochter sah, strahlte er über das ganze Gesicht.

»Laura. Das ist mal eine gelungene Überraschung. Komm her, Töchterchen, laß dich ansehen.«

Leider trug sie wieder ihre scheußlichen Jeans, wo er sie doch so gern in eleganten Kleidern sah. Aber sonst konnte man an einem Mädchen, das aussah wie Laura, nichts auszusetzen haben.

»Gut siehst du aus. Dein Gesicht ist genauso braun wie deine Haare.« Komplimente zu machen, verstand er nicht. »Der Urlaub im Schnee muß dir gutgetan haben. Setz dich, Töchterchen.«

Er zeigte auf den Ledersessel, der nahe neben seinem Schreibtisch stand. Vor einer Stunde hatte ein Herr vom Ministerium darin gesessen. Johannes Wagenfeld war auf dem besten Weg, eine bekannte Persönlichkeit zu werden.

»Was macht das Studium?« Laura bemerkte amüsiert, wie er gequält den Mund verzog. Sie wußte, daß er sich mit ihrem Studium nie abfinden würde. Es hatte harte Kämpfe gegeben, bis er bereit gewesen war, das Studium

zu finanzieren. Kunststudentin! Wenn er gefragt wurde, was studiert Ihre Tochter, gab er immer eine ungenaue Antwort. Kunststudenten waren in seinen Augen Menschen, mit denen ein anständiges Mädchen aus gutem Hause nicht verkehrte.

Und jetzt war sie selbst eine von ihnen.

»Danke, Papa. Ich bin zufrieden.«

»Hoffentlich sind es deine Lehrer auch. Du warst so ein braves Mädchen, Laura. Und dann warst du plötzlich wie ausgewechselt. Ich hätte es so gern gehabt, wenn du meine Sekretärin geworden wärst. Immer hab’ ich davon geträumt. Ich sah dich in meinem Vorzimmer sitzen. Du wärst für meine Arbeit ein gutes Aushängeschild.«

Mit einer anmutigen Bewegung strich sie das braune Haar aus der Stirn. Er kannte sie sehr gut, manchmal konnte er sogar ihre Gedanken lesen. Er musterte sie aufmerksam.

Etwas hatte sie auf dem Herzen.

»Dann hättest du mich wunderbar unter Aufsicht gehabt, Papa.« Vermutlich sollte es lustig klingen, aber in ihrer Stimme war ein Unterton, der ihm nicht gefiel.

»Laura, du bist doch nicht in mein Büro gekommen, weil du es vor Sehnsucht nach deinem Vater nicht mehr ausgehalten hast. Für gewöhnlich holst du mich nur vom Büro ab, wenn du uns besuchen kommst.

Was ist also? Heraus mit der Sprache.«

Sie hatte wunderschöne braune Augen. Nur der Kummer, den er darin zu lesen glaubte, paßte ihm nicht.

»Papa, ich bekomme ein Kind.«

Er hatte gerade den Mund zu einem Scherz geöffnet. Er vergaß ihn zu schließen.

Seine Ohren hatten die Worte aufgenommen. Aber sein Verstand weigerte sich, daran zu glauben.

»Du…«

»Ich bekomme ein Kind«, sie betonte jedes Wort, als wollte sie es in seinem Kopf hämmern.

»Dieses verdammte Studium«, würgte er hervor. Sein ohnehin schon rotes Gesicht nahm eine beängstigende Färbung an. »Ich war von Anfang an dagegen…« Seine Stimme wurde lauter. Er beherrschte sich nur mühsam.

»Darum bist du in mein Büro gekommen«, zischte er wie eine zum Biß bereite Schlange. »Du weißt genau, daß ich mich hier beherrschen muß.«

»Das war nicht der Grund. Ich wollte Mama schonen.«

»Das ist ja interessant«, höhnte er. Ihm war, als hätte er einen Schlag in den Magen bekommen. »Sie willst du schonen! Und mich? Denkst du vielleicht auch an mich?« Seine Stimme war lauter geworden. Er dämpfte sie nur mühsam. »Wer ist der Kerl?«

»Er ist kein Kerl. Den Namen sage ich dir nicht.«

Furchtlos hielt sie seinem Blick stand. Jetzt hatte sie keine Angst mehr. Sie hatte es gesagt, jetzt mußte sie abwarten.

Es dauerte einen Moment, bis er seine Sprache wieder gefunden hatte. Die Luft war ihm fortgeblieben.

»Ich will den Namen wissen! Was für einen Beruf hat er? Wird er dich heiraten?«

Sie kräuselte ein wenig den Mund. Oh, dieses Mädchen brachte ihn zum Wahnsinn.

»Das weiß ich nicht, ob er will. Ich jedenfalls will nicht. Aber ich will das Kind bekommen, ich werde nicht abtreiben. Und ob du es glaubst oder nicht, ich freue mich sogar darauf.«

Er stemmte sich aus dem Sessel und ließ sich im nächsten Moment wieder zurückfallen. Sein dunkelrotes Gesicht verkrampfte sich, seine Augen glühten, seine Stimme klang unheimlich in seiner Wut.

»Was du tust und was du nicht tust, das bestimme ich, kapiert? Ich stehe im Rampenlicht, alle hier im Ort schätzen mich. Ich bin ihnen ein Vorbild. Ich bin im Pfarrausschuß… das weißt du alles. Ich lasse nicht zu, daß man mit den Fingern auf uns zeigt…«

»Papa, bist du denn von gestern?« Ihre Augen funkelten nicht weniger wütend als seine. »Früher war es sicherlich eine Schande oder ein furchtbares Verbrechen, heute denkt man doch großzügiger darüber.«

»Mit man meinst du wohl deine Kunststudenten und die Kerle, mit denen du verkehrst.« Ihm war so elend zumute. Seine Tochter! Seine Laura. Auf die er so stolz war, mit der er so große Pläne hatte. Wie glücklich war er gewesen, als der Sohn des Gutsherrn Laura den Hof machte, als er in seinem Haus ein und aus ging und niemand daran zweifelte, daß aus den beiden ein Paar wurde.

»Papa, hör auf.«

»Ich höre nicht auf. Auf keinen Fall dulde ich, daß du ein Kind zur Welt bringst und nicht verheiratet bist.«

»Ich bin gespannt, wie du das verhindern willst.«

»Reize mich nicht. Ich bin außer mir. Das ist die Erziehung deiner Mutter. Sie hat dich einfach zu viel verwöhnt.«

»Ich wußte, daß du Mama die Hölle heiß machen wirst. Das paßt zu dir. Wenn alles gutgeht, bin ich deine Tochter, sonst ihre. Papa, ich heirate nicht und ich bekomme mein Kind.«

»Laura, wir beide müssen uns jetzt um Ruhe bemühen. Gut, daß du zu deinem Vater gekommen bist, der wird schon Rat schaffen.« Er versuchte sogar ein Lächeln. Er horchte ins Nebenzimmer hinüber. Die Schreibmaschine klapperte schon eine ganze Weile nicht mehr. Die beiden Mädchen würden doch wohl nicht lauschen?«

So schnell es seine Leibesfülle gestattete, stand er auf und öffnete die Tür. Die beiden Sekretärinnen saßen an ihren Tischen und sahen ihn an.

»Fräulein Sauer, kochen Sie meiner Tochter und mir doch bitte einen Kaffee.«

Er setzte sich wieder. Er ist viel zu dick, dachte Laura und musterte sein rotes Gesicht besorgt. Der Vater war immer ein Tyrann gewesen. Lauras Mutter hatte es schon längst aufgegeben, eine eigene Meinung zu haben oder ihm die Stirn zu bieten.

Und trotzdem liebte Laura ihren Vater. Er hatte ja nicht nur schlechte Eigenschaften, er konnte auch sehr lustig sein, war gesellig, man konnte gut mit ihm Schach spielen, das und vieles mehr hatte er ihr beigebracht.

Wenn alles lief, wie er es liebte, war er ein guter Vater und sicher auch ein guter Ehemann. Es mußte nur alles nach seiner Mütze gehen.

Der Kaffee wurde gebracht. Laura und Fräulein Sauer kannten sich natürlich. In dem kleinen Dorf kannte jeder jeden, es gab kaum etwas, das der eine nicht vom anderen wußte.

»Wo waren Sie zum Skifahren, Laura?« wollte sie wissen, während sie Laura die Tasse reichte.

»In Ischl. Wunderbarer Schnee, gutes Wetter.«

»Das sieht man Ihnen an. Ganz neidisch kann man werden, wenn man Ihre Bräune betrachtet.«

Sie hätte gern noch ein Weilchen geplaudert. Aber leider wurde sie nicht zum Bleiben aufgefordert.

»So, Laura, jetzt reden wir mal in aller Ruhe«, schlug der Bürgermeister einen väterlichen Ton an. Er rührte so heftig in seiner Tasse, daß ein Tropfen Kaffee auf die Akte fiel. Er bemerkte es nicht einmal.

»Du hast recht, ein Kind braucht keine Katastrophe zu sein. Wir lassen es auch zu keiner kommen. Sag mal, bist du noch manchmal mit Harro Erdmann zusammen? Er hat die Landwirtschaftsschule besucht.«

»Ich habe ihn hin und wieder gesehen, Papa. Warum willst du das wissen? Hoffst du, daß er der Vater ist?«

»Ja, das wünsche ich mir, du brauchst gar nicht so spöttisch lächeln. Harro ist ein Ehrenmann, der würde dich vom Fleck weg heiraten… dann würdest du ganz in unserer Nähe sein. Das Gutshaus ist für Harro und seine Eltern viel zu groß. Erst neulich sagte mir Herr Erdmann, daß Harro endlich heiraten soll.«

Er sah, wie ihre langen Wimpern zitterten.

»Warum erzählst du mir das, Papa?«

Er schob die Tasse zurück und beugte sich über den Schreibtisch. Beschwörend musterte er das trotzige Gesicht seiner Tochter.

»Ganz bestimmt ist er noch immer verliebt in dich, Laura. Du brauchst nur ein wenig nett zu ihm zu sein, ihm entgegenkommen… Laura…«

»Hör auf, Papa. Ich soll Harro schöne Augen machen, damit ich einen Vater für mein Kind habe? Was denkst du von mir? Ich könnte mir selbst nicht mehr in die Augen sehen, wenn ich so eine Gemeinheit auch nur plante. Vermutlich soll ich ihm nicht einmal sagen, daß ich ein Kind bekomme? Ein Kind von einem anderen?

Harro ist ein feiner Kerl. Er verdient eine Frau, die ihn liebt. Und ich liebe ihn nicht.

Hör auf Pläne zu schmieden, ich…«

»Jetzt höre mir gut zu. Und was ich jetzt sage, das gilt, daran wird niemand, hörst du, niemand etwas ändern können.

In meinem Haus bekommst du ein Kind ohne Vater nicht. Wenn du fragen willst, ob du in meinem Haus leben kannst, dann sage ich nein. Dann ist mein Haus dein Elternhaus gewesen. Dann sagen wir uns los von dir.

Und daß Mama genauso handelt, dafür sorge ich.«

»Wie gut, daß du nicht sagst, genauso denkt.« Ihr war elender, als sie zeigen durfte. Nein, damit hatte sie nicht gerechnet. Daß er toben, schimpfen würde, damit natürlich.

»Du verbietest mir also mein Elternhaus? Du wirfst mich ’raus?«

»Wenn du nicht heiratest, ja. In meinem Haus ist für solch ein Mädchen kein Platz. Wir sind ein christliches Haus, wir…«

»Jetzt laß mich reden. Gut, ich akzeptiere deinen Befehl. Ich gehe und komme nicht zurück. Aber vorher will ich dir sagen, was ich von einem Mann halte, der handelt wie du.

Du glaubst von dir, daß du die Moral gepachtet hast, du hältst dich für etwas Besonderes. – Deine Moral ist Falschheit, du hast Angst, daß man über dich spricht. Du bist besessen von dem Wunsch, Erfolg zu haben. Du opferst dein Kind dem äußeren Schein. Um Himmels willen, daß nur kein Stäubchen auf deine Unfehlbarkeit fällt. Nach außen hin muß alles stimmen.

Auf deine Moral, Papa, pfeife ich! Meinst du nicht, daß auch in deinem Leben Dinge passiert sind, die du gern ungeschehen machen möchtest? Meinst du wirklich, du hast nur Freunde?

Keine Angst, ich werde deine Haltung nicht an die große Glocke hängen. Ich bin sicher, dann würden sehr viele mit Fingern auf dich zeigen und erklären, daß sie auf einen so hartherzigen Bürgermeister verzichten können. Deine Haltung würden vielleicht einige sogar für unmoralisch halten.

Du brauchst nichts mehr sagen. Du hast schon viel zuviel gesagt. Bringen wir die Sache hinter uns. Ich habe von Großmutter ein kleines Vermögen geerbt. Du hast es verwaltet. Ich möchte es ausgezahlt haben. Ich fahre jetzt zu Mutter…«

»Hetze sie nur nicht auf«, schnaubte er. Die Ruhe seiner Tochter war ihm unheimlich. Aber gleichzeitig hatte er Angst, jemand könnte sie hören.

»Ich packe einige Sachen ein, die mir gehören. Ich lasse mir nicht verbieten, mit Mutter in Kontakt zu bleiben. Und wenn du wagen solltest, sie daran zu hindern, dann setze ich einen Artikel in die Zeitung, so wahr ich hier sitze, tu ich das. Ich hab dich sehr lieb gehabt, Papa… aber jetzt schäme ich mich für dich. Ich fahre noch heute abend. Du kannst das Geld auf mein Sparbuch buchen lassen.«

Die ungesunde Röte war aus seinem Gesicht gewichen. Aschfahl war es geworden.

Er räusperte die Enge aus der Kehle.

»Deinen monatlichen Scheck bekommst du selbstverständlich.«

»Wenn wir miteinander brechen, dann ganz. Dein Geld brauche ich nicht. Du kannst es ja in den Klingelbeutel werfen, am Sonntag in der Kirche, aber so, daß es jeder sieht.«

»Werde nicht unverschämt. Ich verbiete dir…«