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Richard Voß

Alpentragödie - Roman aus dem Engadin

e-artnow, 2016
Kontakt info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-7138-5

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Inhaltsverzeichnis

Gräfin Oberndorff mit Kammerfrau aus Schloß Franken – stand mit großen, vornehmen Schriftzügen auf dem Anmeldeschein, den der Kellner dem Wirt vom »Steinbock« in Chur mit der Bemerkung übergab: es sei etwas sehr Feines!

Die Gräfin hatte telegraphisch Zimmer bestellt und sofort nach ihrer Ankunft für den nächsten Morgen, Schlag sechs, Extrapost und Gepäckwagen befohlen: über den Albula ins Engadin und auf den Maloja.

Sie schien eine ebenso verwöhnte wie vornehme Dame zu sein; denn sie hatte für die kaum nach Stunden zählende Dauer ihres Aufenthalts einen Salon in der ersten Etage gewünscht und führte ein Gepäck mit sich, daran die vier kräftigen Vintschgauer Gäule schwer zu ziehen haben würden.

Die Gräfin Oberndorff war einer der ersten Gäste für das Engadin. Auf beiden Übergängen nach dem berühmten Hochtal, dem Albula sowohl wie dem Julier, lag noch eine Menge Schnee. Zwar war erst kürzlich Bahn gemacht worden, doch hatte die Fahrt bei der frühen Jahreszeit immerhin ihre Bedenken, besonders über den wegen seiner Lawinenstürze berüchtigten Albulapaß. Der Wirt des alten renommierten Hotels »Zum Steinbock« hielt es daher für seine Pflicht, die Frau Gräfin, für welche die Fürstenzimmer reserviert worden waren, persönlich zu warnen.

Das geräumige Schlafzimmer, aus dem selbst für die eine Nacht das zweite Bett entfernt werden mußte, befand sich derartig voll Gepäckstücke, daß sich die Gräfin im Salon frisieren ließ. Auf dem Armleuchter vor dem hohen Wandspiegel brannten die Kerzen, und die Kammerfrau hatte auf einem Marmortisch das Necessaire aufgestellt: alle die Büchsen und Flakons, deren kosmetischen, nach allen Wohlgerüchen Arabiens duftenden Inhalt eine elegante Frau zur Schönheitspflege bedarf. Sämtliche Gegenstände waren aus Kristall und Gold, mit den Initialen der Gräfin und der Krone gezeichnet.

Ob die Frau Gräfin den Wirt empfingen? ... Was wünschte der Mann? Aber er sollte nur eintreten. Der Mann trat ein und behauptete später, in seinem ganzen Leben etwas Ähnliches nicht gesehen zu haben. Er meinte jedoch nicht das schier königliche Necessaire, sondern die herrlichen Haare – sie hatten eine wahre Flammenfarbe, wie Abendsonnenstrahlen – der Dame, die über einem Hausgewand aus plissiertem schwarzen Seidenkrepp einen mit Spitzen besetzten Frisiermantel trug. Die Kammerfrau war beschäftigt, die Flechten aufzulösen, was eine schwere Arbeit sein mußte. Dann rückte sie einen Stuhl heran und breitete in Gegenwart des Wirtes die entfesselten Strähnen über die vergoldete Lehne, von der herab sie auf den roten Samt des Polsters niederflossen.

»Sie wünschen?«

Der höfliche Wirt überhörte die Frage. Er stand im Rücken der Fremden und sah im Spiegel ihr Gesicht. Als sie ankam, war sie tief verschleiert gewesen; sonst wäre dem menschenkundigen Manne dieses Gesicht gleich aufgefallen. Es war schmal und blaß, beinahe weiß, mit großen hellblauen Augen. Und diese lichten Augen überschatteten lange, düstere Wimpern, was den feinen Zügen einen eigentümlich geheimnisvollen Reiz verlieh. Dazu das prachtvolle Haar, darin sich die zarte Gestalt wie in einen Mantel hätte einhüllen können. Und was für ein Hals! Wie ein Blumenstengel so schlank! Wie alt mochte sie sein? Vielleicht dreißig, vielleicht zwanzig Jahre.

Der Wirt vom »Steinbock« sah alljährlich viele Damen in das Engadin reisen, darunter sehr vornehme, sehr elegante, mit Wagenladungen von Gepäck: Französinnen, Engländerinnen, Amerikanerinnen. Höchst sonderbare Frauenwesen gingen über die beiden Alpenpässe in das Land der Blumenwiesen und Lärchenwälder, der Eisgefilde und Gletscherseen. Aber bei keiner hatte der Wirt vom Hotel »Steinbock« solche Haare und solche Augen gesehen.

Gräfin Oberndorff aus Franken ... Nicht einmal etwas Erotisches, Fragwürdiges, Abenteuerliches; sondern alter fränkischer Hochadel.

»Sie wünschen?«

Die Gräfin wiederholte ihre Frage. Etwas von dem Ausdruck der Augen lag in dem Ton der Stimme. Es war ein Ton, der sogar einem Hotelier auffiel. Erst auf diese zweite Frage hin brachte er sein Anliegen vor: »Frau Gräfin täten besser, für einige Tage im ›Steinbock‹ Aufenthalt zu nehmen.«

»Weshalb?«

»Um abzuwarten, bis der Übergang weniger gefährlich sein würde.«

»Ich fahre, wie ich bestimmte.«

»Wenn Frau Gräfin darauf bestehen ... Dann rate ich, über den Julier zu fahren.«

»Der Albula soll schöner sein.«

»Um diese Jahreszeit gehen häufig Lawinen ab; und ...«

»Ich fürchte mich nicht. Gute Nacht.«

Mit tiefer Verbeugung zog sich der Wirt zurück, bedauernd, daß die Gräfin Oberndorff keine Furcht vor Lawinen hatte, daß er seine teuren Fürstenzimmer nicht besetzt halten konnte und daß er keine Gelegenheit fand, die Kammerfrau auszufragen. Es war wirklich eine sehr vornehme und zugleich sehr eigentümliche Dame.

Während das selbst von einem Hotelier bewunderte Haar der schönen Frau mit leiser Berührung ausgekämmt, vorsichtig zusammengebunden und kunstgerecht auf dem zierlichen Kopf wieder befestigt wurde, dachte die Gräfin: Weshalb gehe ich eigentlich so früh ins Engadin? Weshalb gehe ich überhaupt dorthin? Was kümmern mich Felsen und Gletscher? Und weshalb gehe ich auf den Maloja, anstatt nach Sankt Moritz, wo ich mich wenigstens gut unterhalten könnte? As ob ich mich nicht überall oder nirgends gut oder schlecht unterhielte. Ja, und weshalb lege ich mir diese Fragen erst heut vor, gerade heute?

Sie verlor sich in Sinnen. Ein Name fiel ihr ein. Es war der Name eines Mannes, eines Künstlers: Sivo Courtien.

Daß dieser Name ihr heute erst wieder einfiel! Daß sie nicht oft, sehr oft des Namens und des Mannes gedacht hatte – Sivo Courtiens!

Vielleicht hatte sie es oft, sehr oft getan, ohne daß sie es wußte: in ihren Träumen, in ihrem geheimsten Innern, in all den öden, dunklen Stunden ihres öden, dunklen Lebens.

Sivo Courtien! ...

Die Gräfin Oberndorff hatte seinesgleichen nicht ein zweites Mal kennengelernt. Wie sollte sie auch? In der Welt, die ihre Welt war und die »große« Welt hieß, gab es solche großen Naturen nicht. Vielleicht geschah es aus diesem Grunde, daß sie jeden Gedanken an den Mann namens Sivo Courtien gewaltsam zurückdrängte. Seiner gedenkend, hätte sie vielleicht die Leere ihres Daseins noch bitterer empfunden.

Sivo Courtien ...

Auf dem Wege in Sivo Courtiens Heimat den Namen aussprechend, mußte sie an einen Alpengipfel denken, dessen in Sonnenglorie leuchtende, in ewigem Eisglanz funkelnde Krone nur die Schwingen eines Adlers streiften, nur etwas königlich Stolzes berührte.

Wann und wo hatte sie den Namen das erstemal gehört?

Vor fünf Jahren war es gewesen, in Rom, wo sie den dritten Winter nach ihrer Heirat verbrachte und zugleich ihren zwanzigsten Geburtstag feierte. Graf Oberndorff wollte seine junge und so eigenartig schöne Frau malen lassen. In Paris oder in London hätte er dafür bessere Gelegenheit gefunden; doch befand er sich nun einmal in Rom, weniger wegen der Sixtinischen Kapelle als um der Fuchshetzen in der Campagna willen. Also sollte das Porträt der Gräfin in Rom gemacht werden.

Von wem?

Dem Grafen wurden viele Namen genannt, darunter Namen mit großem Klang. Dem jungen Ehemann schienen sie jedoch nicht klangvoll, nicht berühmt genug. Irgend jemand sprach in einer Abendgesellschaft von einem »gewissen« Sivo Courtien.

Graf Oberndorff überhörte den ihm vollkommen unbekannten Namen; die Gräfin horchte auf. »Wer ist das?«

»Gräfin hörten nichts von Sivo Courtien?«

»Kein Wort.«

»Merken Sie sich den Namen. Sie werden ihn in Zukunft oft nennen hören.«

»Also ein großes Talent?«

»Ein Genie, wie Arnold Böcklin behauptet.«

»Das ist ja sehr interessant. Erzählen Sie, bitte!«

Und der Irgendjemand erzählte:

Einmal ruhte er auf einem Fels, der aus der Schneedecke wie ein Sessel aufragte. Er hielt den speerähnlichen Bergstock in der Hand und begann damit gedankenlos auf der strahlenden Fläche nachzuzeichnen, was er zufällig vor sich sah: die monumentalen Umrisse des Crest Alta mit der prachtvollen Margna darüber.

Zuerst war es ein bloßes Spiel. Ohne daß der Knabe es merkte oder verstand, wurde aus dem Spiel eine Leidenschaft, ein Lebenstrieb, das Leben selbst. Eine innere Gewalt zwang den kleinen seltsamen Künstler, nachzumalen, was er sah, so wie er es sah: das blanke, blitzende Schneefeld als Riesentafel zu seinen Füßen, die scharfe Eisenzinke seines Steckens als Stift.

Bald mußte er einsehen, daß sein Abbild der Wirklichkeit nur in den Umrissen entsprach. Und auch das kaum. Diese Erkenntnis packte den Knaben mit solcher Wut, daß er noch schweigsamer, noch schwermütiger und scheuer wurde, als er bereits von Natur war, von der Natur der Leute von Maloja. Trotzdem konnte er nicht unterlassen, sein unermeßlich großes eisiges Zeichenbuch mit den Umrissen der Landschaftsbilder seiner Heimat und mit jenen Gestalten zu füllen, die auf geheimnisvolle Weise zu ihm kamen, gewaltsam zu ihm drängten und die er auf seine wunderliche Weise darstellte, wie er mit seinen inneren Augen sie sah. Jeder neue Schneefall bedeckte, jeder Sturm verwehte sie.

In früheren Jahren verzehrte sich der Knabe wahrend des endlos langen, trostlos traurigen Winters in Sehnsucht nach dem ersten Föhn, der heulend aus dem Bergell auffuhr, gleich einer Schar von Dämonen über den Paß stürmte und an den Steinwänden der elterlichen Hütte riß. Die wilden Töne erschienen Sivo Musik, die einzige, die er kannte; dort oben kennt der Mensch nicht Sang, nicht Klang, keine Lebenslust und Daseinsfreude. Mit dem tosenden Süd kam der Frühling gezogen; spät genug, oft erst im Juni. Aber der lenzbringende Wind schmolz Sivos weißes Blatt, darauf er seine Seele niederschrieb, die noch die Seele eines spielenden Kindes und doch bereits eine Künstlerseele war: voller Glut und Leidenschaft, Sehnsucht und Qual – Glauben an sich selbst und Selbstverzweiflung.

Die Leute von Maloja besaßen damals für ihre Kinder noch keine Schule. Weshalb sollten ihre Kinder in die Schule gehen? Das Lehrbuch, das sie zu ihrem Leben bedurften, war die Natur. Und sie war eine heilige, göttliche Schrift. Diese lasen die Leute von Maloja, diese verstanden sie, mit dieser erfüllten sie ihr Inneres. Und sie erfüllten es mit dem Gotteswort, das ihnen ihr greiser Pfarrer jeden Sonn- und Feiertag in dem vielhunderjährigen baufälligen Gotteshause am Ausgange des Murettotals verkündigte, und das sie in ihrem Kinderglauben als Botschaft alles Heils vernahmen.

Mit dem Zeichnen auf dem weißen Winterboden war es also für Sivo mit Frühlingsanfang vorbei; denn um seine Phantasien auf glänzendem Glimmer und eisenhartem Granit zu verewigen, hätte der Hirtenknabe den Meißel führen und ein jugendlicher Michelangelo sein müssen. Wie er beschaffen war, wollte er's – ohne es freilich zu wissen – zu einem Raffael bringen. Vielmehr zu einem Velasquez! Denn seine Gottheiten waren Wahrheit und Wirklichkeit. Aber auch das wußte er nicht. Er malte seine sonderbaren, leicht vergänglichen Gemälde an den einsamsten Orten in der ungeheuren Einsamkeit, wo kein anderes Auge als das des Adlers und Falken sie schauen konnte.

Wie lange auf dem hohen Alpenpasse der Sommer, wie lange der Herbst dauerte! Die schneefreie Jahreszeit volle drei Monate ...

Es konnte allerdings auf dem Maloja auch im Sommer schneien, mitten in die bunte Blütenpracht der Wiesen hinein. Aber die leichte, lichte Hülle ergab für Sivos scharfen Griffel kein Skizzenbuch. Also mußte er auf den Winter warten, wollte er nicht bis zu den Firnen des Murettogletschers emporklettern, um diese zu seinem Skizzenbuche zu machen.

Der Sohn des Gemeindehirten von Maloja, der bereits als achtjähriger Knabe selbst Hirte war, besaß eine Freundin. Das war die um drei Jahre jüngere Maira à Mara, die Tochter des Mesners Gian à Mara, der aus einem uralten herabgekommenen Engadiner Hause stammte; von den Rhätern, wie eine phantastische Familientradition behauptete.

Die kleine Maira faßte für den einsamen versonnenen Knaben eine leidenschaftliche Zuneigung, die sie jedoch unter einem scheuen Trotz verbarg. Wenn Sivo im Morgengrauen mit seinen Geißen auszog, lauerte die kleine Maira ihm auf, hinter einem Wacholderstrauch sich verbergend, um ihm alsdann nachzuschleichen, hinauf zu den höchsten Weideplätzen an dem Cavalocciosee und dem Fornogletscher.

Da Sivo, anstatt seine Geißen zu hüten, stundenlang auf dem Rücken lag und offenen Auges in den Himmel starrte, geschah es häufig, daß ein Tier von der Herde sich entfernte und weit sich verstieg. Machte sich der Knabe endlich auf, um das Verlorene zu suchen, war es bereits gefunden: von dem Dingelchen, der Maira. Und häufig war das Wiedergefundene mit einem Kranze von Alpenblumen oder würzigen Kräutern geschmückt. In der Ferne stand die glückliche Finderin, schüttelte ihre braunen Fäustchen gegen den schlechten Hirten und rief ihm höhnische Worte zu, um ihn trotzdem wie ein Dialchen zu geleiten und mit sorgender Liebe zu umgeben. Die Dialen sind die Schutzgeister des Engadiner Alpenvolkes: liebenswürdige, liebreizende Elfen, jedoch zum Zeichen ihrer unirdischen Art mit häßlichen Ziegenfüßen behaftet.

Noch auf andere Weise machte sich das Mesnertöchterlein dem Hirtensohne bemerkbar: es entdeckte seine weißen Zeichnungen, bekränzte sie mit Zweigen von Wacholder, Arven und Alpenrosenkraut; und stets waren diejenigen am schönsten geschmückt, die dem jungen Künstler die liebsten waren. Wütend zerstörte Sivo Rahmen und Bildnis und suchte sich für seine künstlerische Tätigkeit noch einsamere Stätten. Als Maira merkte, daß ihren Freund das Schmücken seiner Werke verdroß, unterließ sie es, fuhr indessen fort, ihm nachzuschleichen, um heimlich seine bleichen Malereien zu bestaunen.

Eines schönen Wintertages erschien bei dem Pfarrer Romuli Calander die damals zehnjährige Maira à Mara. Die Kleine hatte ihren Sonntagsstaat angelegt, der selbst bei den Kindern der Leute von Maloja aus schwarzem harten Zeug besteht und von unkleidsamem Schnitt ist. In sonderbar feierlicher Weise redete das Kind den alten Seelenhirten an: »Ihr müßt mit mir kommen.«

»Wohin?«

»Kommt nur.«

»Ist deinen Eltern etwas geschehen?«

»Ich will Euch etwas zeigen.«

»Was?«

»Etwas von Sivo Courtien.«

»Was ist's mit dem?«

»Ihr müßt ihm helfen.«

»Fehlt ihm etwas?«

»Ihr müßt ihm helfen, von hier fortzukommen.«

»Sivo Courtien soll fort von Maloja?«

»Dorthin, wo die vielen Häuser und die vielen Menschen sind.«

»So sage doch nur ...«

»Kommt!«

Und mit großem Ernst führte das Kind den Guten zu einem Platze in der Nähe des Gottesackers zwischen Kirche und Dorf.

»Seht!«

»Das ist merkwürdig.«

»Sivo Courtien hat es gemacht. Es ist schön! Betrachtet es und helft ihm.«

Auf flimmerndem Schneefelde war mit feinsten Strichen ein gewaltiges Gemälde eingeritzt, die Berge von Maloja mit dem altertümlichen Kirchlein darstellend. Die Tür des kleinen Heiligtums stand weit offen, und aus dem Inneren drängte sich ein Zug Gestalten, in wallende Gewänder gekleidet. Der Prozession voraus schritt Hand in Hand ein bekränztes Kinderpaar. Die Gesichter aller waren derartig charakterisiert, daß der Pfarrer von einzelnen die Züge erkannte. Es waren Leute von Maloja. Aber alle, die im Zuge schritten, waren Gestorbene und nur die beiden Kinder die Porträte Lebender; denn es waren die kleine Maira und der Knabe Sivo.

Der gespenstische Zug bewegte sich über das Schneefeld jener Stätte zu, wo unter Wacholder und Alpenrosen von niedriger, zerbröckelnder Mauer umfriedet, der Kirchhof des Hochdorfes liegt.

»Das hat Sivo Courtien gemalt? Auf dem Schnee? Der Knabe ist ja ein Künstler!«

»Was ist das?«

»Ein Mensch, der eines Gottes voll ist. Aber das verstehst du nicht, kleine Maira.«

»Ist es etwas Gutes?«

»Etwas Großes, Heiliges.«

»Wenn Sivo Courtien von hier fortgeht ...«

Lächelnd unterbrach der Pfarrer das beständig mit feierlichem Ernste redende Kind: »Möchtest du unseren Hirtenknaben gern von hier fort haben?«

Ohne Ton und Miene zu ändern, erklärte die Kleine: »Wenn Sivo Courtien fort ist, werde ich vielleicht sterben. Aber fort von hier muß er, dorthin, wo die vielen Häuser und die vielen Menschen sind; denn bei uns bleibt er immer nur Ziegenhirte.«

Der gute Geistliche mußte beistimmen. »Darin hast du recht. Bei uns könnte Sivo Courtien nicht einmal Pfarrer werden, geschweige ein Künstler. Nur Ziegenhirt oder Heuer. Aber – daß du sterben willst, wenn er fortgeht? Und daß ich ihn trotzdem fortschicken soll?«

»Was tut das, wenn ich sterbe? Wenn er nur das wird, was ich nicht verstehen kann. Helft ihm! Ihr müßt ihm helfen!«

Und das Kind sah dem alten Pfarrherrn mit einer Eindringlichkeit in die Augen, als forderte es von ihm eine Verheißung.

Das erste, womit Pfarrer Calander dem kleinen Künstler »half«, war, ihm Zeichenpapier und Stift zu schenken. Zu diesen Herrlichkeiten kam später ein bescheidener Farbenkasten, den der Gute für den Schützling des Mesnertöchterleins in Samaden erstand.

Jetzt war es Sivo gleich, ob auf Maloja Sommer oder Winter war, ob es schneite und stürmte oder grünte und blühte: für den knabenhaften Ziegenhirten von Maloja hatte ein neues Leben begonnen. Auf die Sommerweide nahm er sein Handwerkszeug mit, zeichnete und malte, seine Herde in Gottes Namen dem Himmel überlassend. Und er zeichnete und malte während der schier unendlichen Winterzeit. Solange es Tag war, kauerte er in der elterlichen Hütte vor dem lochartigen Fenster; wurde es dunkel, so hockte er am Herd, wo das Feuer ihm leuchtete, oder unter einem brennenden Kienspan. Er zeichnete und malte das, was er sah; malte dies, wie er es sah. Verglich er dann Urbild und Abbild, so zerstörte er Zeichnung oder Malerei, um, dasselbe Werk neu beginnend, auch diese Arbeit wieder zu vernichten; denn niemals erschien sie ihm dem Vorbilde auch nur annähernd ähnlich. Am unzufriedensten mit sich war er, am verzweifeltsten fühlte er sich, wenn er sich vornahm, Gewölk und Nebel wiederzugeben. Und gerade das über die weißen Alpendome und grauen Felsenkuppeln aufsteigende prachtvolle Gewölk, gerade der in den Schluchten brauende, die Gipfel umhüllende Nebel oder ein vom Sturm gepeitschtes, heranjagendes Gewitter zog ihn mächtig an, daß er immer wieder und wieder versuchte, es nachzubilden.

Bereits als Knabe sah Sivo mit seinem inneren Gesichte die wilde und große Natur des Oberengadin bevölkert von geisterhaften Gebilden. Fels und Firn, Wiese und Wald, Gletscherspalt und Gewölk, Nebel und Mondscheindunst offenbarten sich ihm in Gestalten, für die er vergeblich Verdeutlichung anstrebte, qualvoll mit seiner Unfähigkeit ringend, das auszudrücken, was er in sich trug. Die meisten seiner weiblichen Figuren trugen die fremdartigen und geheimnisvollen Züge der kleinen Maira, in deren schmalem blassen Gesicht etwas lag, das die Legende über den Ursprung der à Mara von ihrem sagenhaften Urstamm glaubhaft machte.

Da Sivo seine künstlerischen Versuche, mitleidslos gegen sich selbst, stets wieder zerstörte, so war es für den Pfarrer nicht leicht, einige Blätter sich anzueignen. Endlich verschaffte ihm Maira dieses und jenes Stück. Das Erhaltene packte der gute Greis sorgfältig ein, verfaßte ein langes Schreiben, in dem alles, was er von dem merkwürdigen Knaben wußte, mitgeteilt wurde – auch von der kleinen Mesnerstochter war darin zu lesen – und sandte Skizzen und Brief an den »Illustrissimo Pittore Arnoldo Boecklin ...«

Arnold Böcklin antwortete nicht ... Aber den nächsten Frühling kam der große Künstler von Chiavenna mit der Malojapost durch das Bergell angefahren, um das Wunder von einem Oberengadiner Hirtenknaben mit eigenen Augen zu sehen.

Jetzt wurde Mairas Wunsch erfüllt: Sivo Courtien ging fort aus seiner hohen, seiner herrlichen Heimat; dorthin, wo die vielen Häuser und die vielen Menschen waren, dorthin, wo das Leben war mit seinem Wünschen und Hoffen, seinem Glück und Jammer, seinen Leidenschaften und Qualen, seiner gewaltigen Arbeit und seinem mächtigen Tatendrang – allen seinen schmerzlichen Enttäuschungen und allem trostlosen Entsagen und Entbehren.

Nach Zürich ging Sivo Courtien, um in der schönen Stadt an dem blauen See ein Künstler zu werden. Der Kanton unterstützte seinen genialen Sohn, und – Arnold Böcklin beschützte ihn.

Als Sivo Courtien von den Leuten in Maloja Abschied nahm, wollte er auch der Tochter des Mesners Lebewohl sagen. Maira war jedoch nirgends zu finden. Vergeblich suchte er sie im Murettotal, am Cavalocciosee, vergeblich bis zu den Grenzen des Eismeeres, die Schluchten mit dem Wohllaut ihres Namens füllend. Aber ihm tönte nur die eigene Stimme zurück.

Erst in der Nacht, die seiner Abreise folgte – er ging mit der Post über den Albula –, kam die Gesuchte wieder: blaß und still, mit einem Ausdruck in Miene und Blick, als sei sie länger kein Kind mehr.

Ein Gemälde des jungen Engadiner Malers erhielt auf einer Ausstellung in Basel den großen Kantonspreis. Er schloß für den Glücklichen die schöne Bedingung in sich, auf ein Jahr studienhalber nach Rom zu gehen.

Das preisgekrönte Gemälde führte den seltsamen Titel: »Totenvolk auf Maloja.«

Was der Knabe auf der winterlichen Schneefläche seiner Heimat in wunderlich phantastischem Spiele skizziert hatte, malte der Jüngling auf eine große Leinwand mit genialer Kraft.

Das Bild erregte Aufsehen; nicht nur durch seinen dramatisch gespenstischen Gegenstand, sondern auch durch seine Technik – besonders was das Landschaftliche anbetraf. Noch niemals hatten die Schweizer ihre Berge in solcher Plastik, solcher Wirklichkeit gesehen: die Schneealpen des winterlichen Maloja bei fahlem Mondlicht, das durch sturmgepeitschtes Gewölk brach. Und auf dem bleichen Gefilde der Zug der Gestorbenen, aus dem Waldkirchlein dem armseligen Gottesacker zuwallend: lebensgroße Gestalten, Männer und Frauen, Greise und Kinder – Volk der Hochalpen, der Einsamkeit, der Felsenwildnis; Volk einer düsteren, gewaltigen, grausamen Natur, die ihre Kinder mit Schrecken und Tod umgibt und trotzdem von ihnen geliebt wird. Vielleicht gerade deswegen leidenschaftlich geliebt.

Die Gesichter der Gestorbenen erzählten ergreifend die Geschichte der Lebenden. Es war die Geschichte eines Daseins voller Mühsale und Entbehrungen, voll unerbittlichen Ernstes, eines Daseins ohne Lebensfreude, selbst ohne Sehnsucht danach.

Grauenvoll war der Ausdruck aller Gesichter. Es waren Gestorbene, denen ihr gespenstisches Erwachen Entsetzen einflößte. Mit erstaunlicher Kunst war dargestellt, daß alle diese Menschen einmal – gelebt hatten.

Aber keine bekränzten Kinder schritten Hand in Hand dem Geisterzuge voraus – ein junges Paar bildete die Hauptgruppe. Es war ein Hochzeitspaar, dem die Gäste folgten: nicht unter Anführung lustige Weisen spielender Musikanten, sondern einer weiblichen Nebelgestalt: der »Totenfrau von Maloja«.

Sämtliche Hochzeitsgäste waren mit Sterbehemden bekleidet; nur die Neuvermählten trugen die schwarze heimatliche Festtracht, mit der sie in den Sarg gelegt werden. Kein Kranz schmückte die Braut, und des Jünglings Stirn ward von einer klaffenden Wunde gezeichnet, aus der das rinnende Blut über das Gesicht strömte: der Bräutigam war ein Abgestürzter und die Braut ihm im Tode gefolgt.

Der gespenstische Bräutigam war der Künstler selbst, die kranzlose Geisterbraut Maira à Mara.

Der Sturm jagte die Wolken über die Mondsichel hin; aber die Gewänder der Gestorbenen bewegte kein Windhauch.

Im Zuge der letzte, der aus der offenen Kirchtür schritt, war der Pfarrer Romuli Calander. Auch er ein Gestorbener. Um Mitternacht war das bräutliche Paar aus seinem gemeinsamen Grabe gestiegen, hatte die Toten von Maloja zu Gaste geladen und war in die Kirche vor den Altar getreten, vor dem sie im Leben nicht vermählt worden waren. Nun führte die Totenfrau alle zu ihren letzten Ruhestätten wieder zurück: hin zu dem von niedriger, bröckelnder Mauer umfriedeten Gottesacker, wo inmitten des weißen Schneefeldes die aufgeborstenen schwarzen Grüfte gähnten ...

Einen vollen Winter über war Sivo Courtien auf Maloja gewesen, um sein großes Gemälde an Ort und Stelle zu malen – vom ersten bis zum letzten Pinselstrich in freier Natur, und jede Gestalt eine Porträtfigur. Es war seine erste Heimkehr. Und wie kehrte er heim! Womöglich noch schweigsamer, umdüsterter, noch einsamer; womöglich noch verträumter und weltfremder. Seine Eltern waren tot, tot war Pfarrer Calander, und das Mädchen, das verstanden hätte, was aus dem Hirtenknaben geworden war: ein genialer Künstler – dieser einzige Mensch weilte in der Ferne.

Maira à Mara befand sich in Genf auf einem Seminar; denn die Tochter des Mesners von Maloja sollte für die Malojakinder eine Schule gründen und machte das Lehrerinnenexamen. Aber ihr Bild malte Sivo Courtien trotzdem. Er malte die ferne Maira, wie er sich vorstellte, daß sie jetzt aussah; und die Leute von Maloja sagten einstimmig: »Das ist Maira à Mara!«

Und sie sagten: »Das sind wir. Und wir sind Gestorbene. Sivo Courtien hat uns gemalt, wie wir sein werden, wenn wir tot sind. Er hat uns gemalt, wie wir in unseren Gräbern keine Ruhe finden. Nicht einmal die ewige Ruhe gönnt er uns!«

Es war wie ein Aufruhr. Furcht und Grauen packte die kleinen Gemüter des weltfremden Völkleins. Auch das erfüllte sie mit Entsetzen, daß Maira eine kranzlose Braut war! Denn unter dem Hirtenvolk über den smaragdgrünen Seen des weißen Engadins gab es wohl viele Abgestürzte mit Todeswunden auf der Stirn; aber es gab auf Maloja keine Bräute, die ohne Kranz zur Kirche gehen mußten.

2

Inhaltsverzeichnis

Gräfin Josette hatte die Kammerfrau fortgeschickt. Mit ihrer, als rotgoldene Tiara um das Haupt gewundenen, Haarpracht blieb sie vor dem Spiegel sitzen, sah im Glase ihr weißes Gesicht, schaute zu, wie die Flamme gierig die Kerzen verzehrte, und gedachte des Mannes mit dem fremdartig klingenden Namen.

Jener Irgendjemand, der in dem Salon der römischen Weltdame einer eleganten Gesellschaft die Geschichte des Engadiners zum besten gab, konnte nicht sagen, was an seiner Erzählung Wahrheit und was daran Dichtung sei. Denn gedichtet schien manches zu sein, wie die Schneegemälde und die romanhafte Gestalt der Mesnerstochter. Die elegante Gesellschaft hörte denn auch ziemlich gelangweilt zu; Graf Oberndorff mit jenem Lächeln, das seine schlaffen Züge für seine junge Frau so gespenstisch belebte. Er fuhr fort zu lächeln, als die Gräfin in ihrer gleichgültigen Art zu ihm sagte: »Der Mann interessiert mich. Laß uns morgen sein Atelier besuchen.«

»Wenn es dir Vergnügen macht ...«

Der Irgendjemand bemerkte: »Sivo Courtien empfängt keine Atelierbesuche.«

»Immerhin könnte man den Versuch wagen. Einen Käufer wird der Herr schwerlich die Treppe hinunterwerfen.«

Aufstehend erwiderte die Gräfin, ohne die Stimme zu dämpfen: »Seit wann verstehst du dich auf Künstlerseelen?«

Jedes Wort fiel ihr heute wieder ein auf dem Wege nach Sivo Courtiens Heimat. Lebhaft erinnerte sie sich des Frühlingstages, an dem sie mit ihrem Gatten das Atelier des Mannes besucht hatte, der keine Besuche empfing. Es lag, nahe bei ihrem fashionablen Hotel de Russie, in einer der Künstlerkasernen der Via Margutta. Aus dem dunkeln, schmutzigen Hausflur auf den Hof hinaustretend, über den es zu den Ateliers ging, erblickten die Fremden ein echt römisches Bild: sonnenbeschienen ein grüner, mit gelben Azaleen bewachsener Pincioabhang, von der Mandelblüte weiß umhüllt; darüber der dunkle Steineichenwald der französischen Akademie, feierlich wie ein antiker Hain; auf dem Hofe Zitronenbäume, Marmorblöcke und Fragmente von Antiken. Aus einem offenstehenden Bildhaueratelier drang zu dem pochenden Geräusch des Meißels ein schwermütiger Gesang, und die Frau des Kustoden wusch in einem altrömischen Sarkophag, der als Brunnentrog diente, ihren Salat ... Der Hirtensohn von Maloja mußte sich in dem Glanz eines römischen Frühlingstages wie verzaubert vorkommen.

Der »Pittore svizzero« wohnte im höchsten Stockwerk, war zu Hause, empfing jedoch keine Besuche. Letzteres wußte auch der Kustode.

Trotzdem stiegen die Herrschaften die fünf Stockwerke hinauf. Jeder der scheibenlosen Fensterbogen gewährte einen Überblick auf Roms Gartenhügel, einen Blick, der von Stockwerk zu Stockwerk freier und köstlicher wurde.

Die Gräfin freute sich, daß der Engadiner so wundervoll römisch hauste.

Höher hinauf ging es nicht. Sie befanden sich vor einer Tür, an der kein Name stand. Graf Oberndorff läutete. Es wurde jedoch nicht geöffnet. Er läutete ein zweites, ein drittes Mal. Endlich wurde die Tür – nicht geöffnet, sondern aufgerissen wie in Zorn über die Störung.

So sah der Mann aus, der ein Genie sein sollte ... Der Graf warf seiner Frau einen triumphierenden Blick zu: ihre Neugierde – denn etwas anderes war ihr »Interesse« nicht – würde gestillt sein.

Gräfin Josette beachtete nicht das Ungeschlachte und Verwilderte der mit größter Nachlässigkeit gekleideten Gestalt; die vornehme Dame beachtete nicht, daß das Gesicht unschöne, grobe Züge hatte – auf den ersten Blick erkannte sie die trotzige Kraft und den unbeugsamen Stolz, der aus den Augen des Mannes von Maloja leuchtete. Es waren die Augen eines Gottbegnadeten.

»Sie wünschen?«

»Man sagte uns, Sie empfingen keine Besuche. Entschuldigen Sie also ...«

Der Graf sprach mit jener nachlässigen Höflichkeit, die seine Frau stets als eine Beleidigung des Angeredeten empfand: als die Beleidigung eines Hochgestellten gegen den sogenannten Niedrigstehenden, des »Grandseigneurs« gegen den Plebejer. Ein wirklicher »Grandseigneur« beleidigt nicht den geringeren Mann.

Das war ja eben das Unglück dieses Frauenlebens: daß dieser Aristokrat mit sechzehn Ahnen eine Plebejerseele hatte.

»Weshalb kommen Sie, da man Ihnen sagte, ich empfinge keine Besuche?«

»Meine Frau wünschte es. Ich bitte nochmals um Entschuldigung.«

»Ist das Ihre Frau?«

»Die Gräfin Oberndorff.«

Courtien überhörte den Namen. Was kümmerten ihn Namen? Vollends ein adeliger, gräflicher.

Er hatte bis dahin nur den Herrn angesehen und sofort eine heftige Antipathie gegen den tadellosen Kavalier empfunden, eine fast feindselige Abneigung. Jetzt erst wandte er sich zu der Dame, mit seinem sprühenden, bohrenden Künstlerblick die ganze Erscheinung umfassend ... Dann sagte er nicht wieder, daß er keine Besuche empfinge. Er sagte nichts. Aber er trat in den Vorraum zurück, ließ die Tür offen, und die beiden folgten ihm.

Ein kahler Raum, nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, ganz anders als sonst Künstlerwerkstätten, wie auch der Mann ein ganz anderer war. Auf der Staffelei ein angefangenes Gemälde, das der Maler bei Eintritt der Fremden sofort umkehrte; an den Wänden Farbenskizzen und Zeichnungen: ungewöhnlich bedeutend, außerordentlich in jeder Beziehung – das erkannte sogar Graf Oberndorff, der sich im allgemeinen schlecht auf Künstlerseelen verstand.

Auffällig war, daß unter sämtlichen Entwürfen nichts Römisches sich befand. Weder ein »Blick auf die Sankt Peterskuppel«, noch ein altrömischer »Aquädukt mit dem Sabinergebirge«, oder »Schafherde in der Campagna«. Auch kein Modell von der spanischen Treppe. Weder ein männliches noch ein weibliches.

In Rom lebend, malte der Engadiner Gletscher, Firnen, Felsenöden, Alpenwildnisse; er malte diese Landschaften bei grellem Sonnenschein und von jagenden schwarzen Wolkenmassen überschattet, bei stillem Mondesglanz und in stürmischer Nebelnacht.

Alle Entwürfe behandelten Motive aus Courtiens Heimat, in einer Wirklichkeit geschaut, mit einer Wahrhaftigkeit dargestellt, daß die Sonne auf dem Schnee blendend funkelte, die Nebel aus den Schluchten vor den Augen des Beschauers aufzusteigen schienen.

Die aufsteigenden, vom Sturm gepeitschten Nebel – in zwanzigfachen qualvollen Versuchen immer dasselbe unmöglich zu lösende malerische Problem ...

Der Künstler stand in der Mitte des öden Raumes, sprach kein Wort, ließ den Herrn und die Dame sich umsehen. Er machte ein Gesicht, als müßte er einen leidenschaftlichen Ausbruch niederkämpfen, weil er die Tür hatte offenstehen und die Fremden eintreten lassen.

Graf Oberndorff äußerte sich übertrieben höflich, übertrieben bewundernd. Die Gräfin blieb stumm.

Wie zufällig näherte sie sich der Staffelei, darauf das vorhin von dem Maler umgekehrte Gemälde stand. Sie blieb davor stehen und blickte zu Courtien hinüber: ihm gerade in die Augen schauend, unverwandt und ruhig. Da ging er und zeigte der schönen Frau das Bild, das die Fremden nicht sehen sollten. Sie dankte mit einem Lächeln. Dann betrachtete sie das nur ihr gezeigte Gemälde.

Ein abgrundtiefer Gletscherspalt, in den der Mond herabscheint, die Kluft mit unirdischem Licht füllend. In dem grünlichen, magischen Glanze taucht aus der Tiefe ein junges Weib empor, gehüllt in die Pracht ihres Haares, umflossen von einer Flut goldigrötlichen Schimmers, der – zugleich mit dem Mondlicht – den wie aus Silber und Elfenbein modellierten blumenschlanken Leib umsprüht.

Die Gletscherfrau drückt ihre Glieder eng gegen die funkelnde Wand und erhebt ihr Gesicht, das einen Ausdruck hat wie ein auf Beute lauerndes Raubtier. In ihren weißen Augen glüht unersättliche Gier. Sie streckt beide Arme steif über sich aus, um das Opfer zu empfangen, das sie mit ihrem Nixenlachen angelockt hat. Es kann auch ein leises jammerndes Weinen gewesen sein.

»Wer ist dieses unheimliche Wesen?«

»Wer? ... Ein Weib ... Das Weib!«

Sie fragte ihn, und er antwortete ihr mit unterdrückter Stimme, als ob der Dritte sie nicht hören sollte. Plötzlich bemerkten beide, daß sie leise, fast flüsternd sprachen. Courtien erblaßte, sagte laut und mit einer Stimme, darin es wie mühsam unterdrückter Zorn klang: »Sie wollen wissen, wer das ist? Das Gletscherweib. Wir Engadiner haben unsere besonderen Geister. Unsere Natur steckt voll von ihnen. Sie sind furchtbar und dem Menschen feind – wie unsere Natur es ist. Das heißt – nur dem Schwachen sind unsere Geister verderblich. Dieses hier ist das Gletscherweib vom Monte della Disgrazia in meiner Heimat Maloja. Sie müssen nämlich wissen, daß ich von Maloja bin. Also ein Gletschermensch, ein Alpenbauer.«

Graf Oberndorff versicherte: Sivo Courtien sei ein bekannter Name, und die Welt wisse von ihm. Ohne den höflichen Herrn zu beachten, beständig die Gräfin anblickend, nur zu ihr redend, sprach Courtien weiter: »Das Gletscherweib vom Monte della Disgrazia ist von allen unseren Geistern der schlimmste; denn es ist – eben das Weib. Eine Teufelin ist es. Der Mann, der es einmal sieht, findet nicht eher Ruhe, als bis er in seinen Armen den Tod fand. Es stürmt empor aus dem Gletscherspalt, wirft ihm ihr leuchtendes Haar als Schlinge um den Hals, trinkt sein Blut, saugt ihm die Seele aus, jauchzt auf, daß der Gletscher birst und bricht, der Firn zerreißt, der Gipfel bebt. Eine Teufelin, sage ich Ihnen.«

»Wie Sie vorhin wundervoll richtig bemerkten, eben das Weib. Übrigens sahen Sie das Gletscherweib bis jetzt noch nicht – da wir das Vergnügen haben, uns in Ihrer Gegenwart zu befinden.«

Auch jetzt beachtete Courtien den vornehmen Herrn nicht im geringsten und fuhr fort, nur zu der Gräfin zu sprechen, als ob nur sie anwesend sei und gefragt habe.

»Ich sah das Gletscherweib bis jetzt noch nicht. Und wenn auch. Ich besitze einen Talisman wider böse Geister.«

»Sie meinen die Kunst?«

» Meine Kunst!«

Als der Mann, der ein Gletschermensch und Alpenbauer war, das sagte, sah er prachtvoll aus: Zoll für Zoll ein Künstler! Ihm fest in die Augen blickend, erwiderte die Gräfin: »Nein, Sie bekommt das Gletscherweib vom Monte della Disgrazia nicht.«

Lächelnd hörte Graf Oberndorff den beiden zu, die sich in weiter Ferne auf einer öden Insel zu befinden schienen. Plötzlich erkundigte er sich auf das höflichste bei dem Künstler: ob dieser »geneigt« wäre, das Porträt der Gräfin zu malen?

»Das Porträt Ihrer Frau?«

»Ich wünsche es in Lebensgröße. Über die Auffassung können wir reden.«

»Ich pflege meine eigene Auffassung zu haben.«

»Meine Hochachtung! ... Wie viele Sitzungen würden Sie benötigen?«

»Ich male keine Porträte.«

»Auch nicht das meiner Frau?«

»Auch das nicht.«

»Du wurdest von Herrn Sivo Courtien abgelehnt, meine Liebe.«

Jedes Wortes, das damals in dem hohen Atelier in der Via Margutta gesprochen wurde, erinnerte sich die schöne Frau heute. Und sie erinnerte sich ihrer Empfindung bei jenem Besuche: etwas wie leises Staunen, wie leise Freude – Freude auch darüber, daß Herr Sivo Courtien sie »abgelehnt« hatte. Er hielt es nicht einmal für nötig, sich zu entschuldigen. Denn es war keine Entschuldigung, als er erklärte: »Ich kann nur Bauern und Bäuerinnen malen: Volk von Maloja.«

Graf Oberndorff ergänzte mit seinem matten Lächeln, dem Lächeln des kosmopolitischen Lebemanns: »Und schönhaarige Teufelinnen, die uns armen Männern das Herzblut aussaugen ... Immerhin ist Maira à Mara keine Bäuerin.« »Was wissen Sie von Maira à Mara?«

»Ich sagte Ihnen ja, daß die Welt Sivo Courtien kennt. Also kennt sie auch die junge Dame, die zu Ihrer Geschichte gehört.«

Die Gräfin sah den Künstler an. Sie sah, wie es in seinen Augen aufleuchtete, wie in seiner Seele bei Nennung des wohllautenden Frauennamens – aus diesem Munde – etwas aufgewühlt wurde wie von einem Sturm.

»Maira à Mara gehört zu meiner Geschichte? Und das wissen die Leute? Darüber reden sie? ... Die Leute wissen nicht, wie wenig ich mich um sie kümmere. Aber wer den Namen meiner Freundin anders ausspricht als mit –«

Er brach ab, als hielte er es für unwürdig, weiter zu sprechen: mit diesem vornehmen Herrn, mit dem er nichts gemein hatte! Und nichts gemein haben wollte er mit der vornehmen Frau, die das Haar und die Augen seines Gletscherweibes vom Monte della Disgrazia hatte und deren Porträt er malen sollte. Weshalb hatte er sie auch in sein Atelier eingelassen? Und daß er unter dem Banne ihres Blickes hingegangen war und ihr sein Gemälde gezeigt hatte! Wenn auch nur ihr ... Jetzt hörte er sie sagen: »Wir vernahmen von dem jungen Mädchen nur Gutes. Sie muß ein merkwürdig groß angelegtes Geschöpf sein. Hat sie ihr Ziel erreicht?«

»Was verstehen Sie unter ihrem ›Ziel‹?«

»Für die Malojakinder eine Schule zu gründen.«

»Sie ist Lehrerin auf Maloja. Sie vollbringt alles, was sie will. Sie könnte Berge versetzen – da sie den Glauben dazu hat.«

›Da sie zu dir die Liebe hat‹ – dachte die Gräfin, plötzlich in sich eine heftige Abneigung gegen jenes »groß angelegte« fremde Mädchen entdeckend.

Mit außerordentlicher Höflichkeit verabschiedete sich Graf Oberndorff von dem Engadiner, ohne ihm jedoch die Hand zu geben. Das tat seine Frau. Für einen Augenblick ruhte ihre schmale, silbergrau behandschuhte Aristokratenhand in der Hand Sivo Courtiens, die wie ein Wahrzeichen des Stammes und der Art des Mannes war: uralter Bündner Stamm, grobe Bergbauernart. Trotzdem die Hand eines Künstlers, eines Schöpfers.

Als ihre Rechte die seine leise berührte, fühlte sie das Erzittern der bäurischen Hand, die Meisterwerke schuf ...

Die Gräfin Oberndorff war seit jenem römischen Frühlingstage, an dem sie das hohe Atelier in der Via Margutta besuchte, viel bewundert, viel geliebt worden. Aber daß Sivo Courtiens Hand in der ihren gezittert hatte, blieb für sie nicht nur ihr höchster, sondern auch ihr schönster Triumph.

Daran dachte die einsame Frau vor ihrem Spiegelbild bei dem flackernden Schein der Kerzen, die die Flamme verzehrte.

Und sie dachte daran, wie ihr Mann in den römischen Salons in ihrer Gegenwart den Künstler karikierte und lächerlich machte, der eleganten Gesellschaft voller Behagen erzählend: Herr Sivo Courtien habe die Gräfin Oberndorff abgelehnt. Es wurde allgemein sehr spaßhaft gefunden.

Gemalt wurde die Gräfin Oberndorff in Rom aber doch: lebensgroß, in einer Toilette aus silbergrauem Samt, mit der vielreihigen Perlenkette, dem berühmten Oberndorffschen Familienschmuck. John Lavary übernahm den Auftrag gegen ein kleines Vermögen als Honorar. Der Meister eleganter Frauenschönheit befand sich zufällig für den Winter in Rom, hatte sein Atelier in der Via Margutta, in dem nämlichen Hause wie der Engadiner, und war von der eigentümlichen geheimnisvollen Schönheit der Gräfin fasziniert. Er soll von ihr gesagt haben: »Sie ist eine Frau, die nie glücklich sein wird, die nicht glücklich sein kann – da sie nicht zu beglücken vermag. Aber sie kann unglücklich machen. Ich will versuchen, diese Eigentümlichkeit in meinem Porträt auszudrücken.«

Jeden Vormittag fuhr die Gräfin in großer Toilette in die Via Margutta Nummer 59. Die Kammerfrau mit dem Schmuckkasten begleitete sie. In den ersten Tagen mußte sie sich von der Jungfer jedesmal daran erinnern lassen, daß Lavarys Atelier im zweiten Stockwerk lag: sie wollte jedesmal höher steigen. Schlag zwölf holte der Graf sie ab. Er war von dem Bilde begeistert – besonders von der unvergleichlichen Eleganz. Wunderbar und wundervoll, wie die Spitzen, wie die Perlen gemalt waren! Nur John Lavary konnte Spitzen und Perlen so malen. John Lavary hatte für das Lob des Kavaliers ein stilles Lächeln, das der auf Künstlerseelen sich schlecht verstehende Graf für den Ausdruck geschmeichelter Künstlereitelkeit hielt. Dieser feine Irländer war doch ein ganz anderer Mensch als jener Malojabauer. Ein Gentleman, mit dem ein Gentleman reden konnte, war John Lavary!

Die Gräfin stand auf dem Bilde, in der Haltung der großen Dame, vor einem silberdurchwirkten Vorhang, und schaute mit einem Ausdruck, als suchte sie einem anderen Blick zu begegnen, geradeaus über den Beschauer hinweg, gleichsam in unendliche Fernen. Zu ihren Füßen lag ein weißer Blütenzweig, der ihrer niederhängenden Hand entfallen war. Sie trug ihr prachtvolles Haar als dreifache Krone, die das feine Frauenhaupt – wie alle Kronen zu tun pflegen – schmerzlich zu drücken schien. Wenigstens lag auf dem schönen Gesicht ein Zug tiefer Müdigkeit.

Graf Oberndorff bestellte bei John Lavary ein zweites Porträt: seine Frau in ihr aufgelöstes Haar gehüllt, mit ihrem reizenden Lächeln, das bisweilen dem Lächeln eines Kindes glich. Das Bild wäre des berühmten Künstlers Meisterstück geworden. Aber die Gräfin wollte sich nicht zu einer zweiten Sitzung verstehen, was ihren Gemahl, den Grandseigneur, so wütend machte, daß er ausrief: »Von dem Engadiner Gletschermenschen hättest du dich sicher auch ein drittes Mal malen lassen!«

Die gelassene Antwort lautete: »Vielleicht.«

Eines Frühlingsabends sah sie ihn auf der Landstraße vor Porta Furba wieder. Sie war allein. Der Graf mußte in Rom »Jours« besuchen, wozu sie keine Lust verspürte. So war sie denn in die Campagna hinausgefahren, die – wie Graf Oberndorff lächelnd bemerkte – ja wohl etwas sehr Merkwürdiges und Erhabenes sein sollte.

Auf der Landstraße nun kam ihrem Wagen Sivo Courtien entgegen. Er schien einen weiten Weg gemacht zu haben und war staubbedeckt. Seine nachlässige Kleidung, sein ungepflegtes Haar, sein Bartgestrüpp – in einem Salon wäre der Mann entschieden unmöglich gewesen. Was war es nur, das ihn für die vornehme Dame so seltsam anziehend machte? Es mußte in seinen Augen liegen, wenn sie blitzgleich aufleuchteten – in seiner Seele, wenn der Sturm der Leidenschaft sie aufwühlte.

Das neugeprägte Wort »Herrenmensch« fiel ihr ein, als sie ihn durch den Staub der Landstraße ihr entgegenkommen sah: stark und hoch, das Haupt emporgewendet, mit Blick und Seele von der Erde fort das Unendliche, das Unerreichbare suchend. Ohne die schöne Frau in der eleganten Equipage eines Blickes zu würdigen, wollte er vorübergehen. Da rief sie ihn bei Namen, dem Kutscher befehlend, zu halten.

Zaudernd näherte sich der Angerufene dem Wagen. Ebenso unhöflich war sein Gruß. Aber auch in diesem widerwillig erteilten Gruß lag für Josette ein Triumph.

»Sie kommen von Frascati?«

»Von weiter, von Tusculum her. Dort sind Gegenden, die kein Mensch kennt: kein Kulturmensch. Eine Wildnis, sage ich Ihnen. Groß wie der Gott der Sixtinischen Kapelle ist dort die Welt.«

»Trotzdem leiden Sie an Heimweh?«

»Woher wissen Sie das?«

»Wann kehren Sie wieder zurück?«

»Wohin zurück?«

»In Ihr Gletscherland?«

»Kennen Sie es?«

»Nein.«

»Sie gehören auch nicht dorthin.«

»Ganz und gar nicht. Ich wüßte nicht, was ich dort anfangen sollte.«

»Nein, Sie wüßten nicht, was Sie in einer großen Natur anfangen sollten ... Übrigens wird sie jetzt herrlich hergerichtet, kultiviert, verfeinert, gewissermaßen salonfähig gemacht. Man sagte mir: Maloja sollte ein Monte Carlo oder Baden-Baden werden. Das danken wir Ihnen. Ich meine: den feinen Leuten.«

»Weshalb lassen Ihre Landsleute uns herein?«

»Weil sie Krämerseelen sind.«

»Wollen Sie mit mir fahren?«

»Nein. Danke.«

»So steige ich aus und gehe ein Stück Weges mit Ihnen.«

Sivo Courtien antwortete nicht, ließ sie sogar den Wagenschlag selbst öffnen. Seine Unhöflichkeit kränkte sie auch jetzt nicht. Bemerkte sie doch, daß er bleich geworden war und in seinen Augen jenes gewisse Leuchten aufzuckte.

In ihrem englischen Kostüm – selbst die Feindinnen ihrer eigenartigen Schönheit mußten ihr lassen, daß sie sich »gut« anzog – schritt sie neben dem Wildling durch den Staub der Landstraße einher, instinktiv fühlend, daß in seiner Seele ein Aufruhr tobte und er am liebsten davongelaufen wäre, als drohte ihm an ihrer Seite eine Gefahr. Aber er blieb. War er doch nicht der Mann, der vor einer Gefahr geflohen wäre: er, Sivo Courtien, für den die Todesgefahren seiner Heimat bei Lawinensturz und Föhnsturm Lebenselement waren ... Trotzdem wollte er ihr Porträt nicht malen. Weshalb nicht? Sollte sie ihn danach fragen? Heute, wo sie mit ihm durch Roms Campagna wanderte und ihn aller Wahrscheinlichkeit nach das letztemal im Leben sah ... fragen mußte sie ihn; denn sie mußte es wissen. Aber sie schwieg. Es war heute für diese Frage weder der rechte Ort noch die rechte Stunde. Die würde jedoch kommen. Irgendwo würde sie ihm sicher wieder begegnen; denn – es durfte heute nicht das letztemal sein.

Was konnte ihr daran gelegen sein, jene Frage zu tun? Was sie bewegen, auf jene Stunde zu warten? Sie, deren Leben eine Reihe fortgesetzter Triumphe war und sein würde: des Sieges ihrer geheimnisvollen, fast mystischen Schönheit, des Sieges einer unglücklichen Frau; denn – ja, ja, ja, das war sie!

Erst jetzt richtete er wieder das Wort an sie: »John Lavary malt Sie? Ich meine: John Lavary malt Ihre Toilette, Ihren Schmuck, Ihr Haar, Ihre Züge, die Farbe Ihrer Augen. Besonders Ihre Toilette malt er: den Schnitt Ihres Kleides, die Falten, Stickereien, Spitzen, Juwelen.«

»Das Porträt wird sehr bewundert.«

»Weil John Lavary es malt. Es wird ja wohl auch glatt und glänzend genug sein. Wer kann Sie malen? Ich wollte sagen: wer kann überhaupt einen Menschen malen? Sein Wesen, seine Seele; eben den Menschen. Die Alten konnten es. Velasquez konnte es. Aber wir Armseligen ... Ich malte meine Mutter. Das konnte ich. Aber meine Mutter kannte ich. Sie machten von dem Bilde großes Geschrei, und Böcklin wollte, ich sollte es ausstellen. Ich tat es, tu es jedoch nie wieder. Überhaupt dieses Ausstellen ... Ich werde nie wieder ein Porträt malen; denn ich werde nie wieder einen Menschen so kennenlernen, daß ich ihn malen könnte ... Sie fragten vorhin, wann ich wieder ins Engadin zurückkehrte? Am liebsten liefe ich morgen von hier fort. Auf bloßen Füßen liefe ich zurück! ... Wissen Sie, weshalb ich in Rom bleibe? Eines Gottes wegen. Sein Haus ist die Sixtinische Kapelle, und sein Name Michelangelo. Jetzt wissen Sie's! Ich komme von dem Buonarotti nicht los. Ich liebe ihn nicht nur nicht, sondern hasse ihn. Der Mann ist eine Gewalt. Ein Element ist er! Und einem Element muß der Mensch sich beugen; er mag wollen oder nicht ... Aber weshalb sage ich Ihnen das? Gerade Ihnen!«