Buchcover

Nataly von Eschstruth

Im Schellenhemd

Roman

Mit Illustrationen von F. Schwormstädt.

Saga

I.

Meinen hochverehrten Schwiegereltern

Herrn Oberstleutnant von Knobelsdorff-Brenkenhoff

und

Frau Ida von Knobelsdorff-Brenkenhoff
geb. von Naso

in herzlichfler Liebe zugeeignet

von

der Verfasserin.

Vorwort.

Es war vor Jahren. Der Novembersturm brauste um die Seehalde am Bodensee, und Meister Joseph Victor von Scheffel legte meine Erzählung „Wolfsburg“ aus der Hand und sprach: „Wissen Sie auch, Fräulein Nataly, dass Sie just für solche Schriften aus der guten alten Zeit eine ganz besondere Begabung haben? — Wie stehts mit einem neuen Stoff aus den Tagen der lieben Ahnherrn?“ — Der Stoff ist schon da, Meisterchen, aber ich habe keine Courage ihn zu bearbeiten!“ —

„Erzählen Sie!“ — Das tat ich mehr wie gern, rückte behaglich an den Ofen und kündete dem Meister die Geschichte vom Irregang! — Er hörte voll lebhaften Interesses zu. „Und warum wagen Sie sich nicht an diese prächtige Sache heran?“ — „Weil es für ein junges Mädchen eine schwierige, fast unlösliche Aufgabe ist, einen historischen Stoff fehlerfrei zu behandeln.“ Der Meister schüttelte lächelnd das Haupt. „Ganz recht, und weil dies die Welt weiss, wird man auch nicht einen historischen Roman im vollsten Sinne des Worts von Ihnen verlangen; erzählen Sie den Leuten frisch und harmlos die Schicksale des Irregang, dann werden sie einem jeden wohlgefallen und man wird um des Kernes willen nicht zu strengen Massstab an die Schale legen. Skizzieren Sie den Roman und lesen Sie ihn mir beim nächsten Wiedersehen in Karlsruhe vor.“ — —

Mit Feuereifer begab ich mich damals an die Arbeit, und als der Winterschnee zu schmelzen begann, lugten die ersten Kapitelköpfchen darunter hervor. In dem gastlichen Elternhause des Dichters Heinrich Vierordt zu Karlsruhe ward Joseph Victor von Scheffel der aufrichtige Freund des Irregang. Sowohl er, wie die geistig so hochbedeutende Mutter Vierordts, lebten sich mit mir völlig ein in jene Tage, wo noch das Schellenhemd die Brust des ehrlosen Mannes deckte, und Meister Scheffel reichte mir beide Hände und sprach: „Nun eine Bitte meine liebe Freundin: Der Irregang ist ein gar wackerer Gesell, der Ihren Namen einst in Ehren weit durch die Welt tragen wird, und darum dürfen Sie sich keine Mühe verdriessen lassen. Arbeiten Sie langsam an diesem Werk, wachsen Sie zusammen mit dem Irregang heran! Suchen Sie sich mehr und mehr in seine Zeit zu vertiefen, studieren, verbessern, feilen Sie, setzen Sie Ihre beste Kraft ein für den Irregang und er wird’s Ihnen Dank wissen; schaffen Sie in erster Linie einen guten Roman und die Welt wird es Ihnen gern verzeihen, wenn er als Zeitbild nicht völlig korrekt ist!“ —

Jahre sind vergangen, und ich habe nach des Meisters Wort getan. Der Irregang hat inzwischen das „Schellenhemd“ über sein geächtet Haupt gestreift, und ist getrost hinausgezogen in die Welt, denn wenn auch die lieben Augen, welche einst so freundlich über ihm gewacht, sich für ewig geschlossen haben, so geleitete ihn doch: Meister Scheffels getreuster Segenswunsch! — —

I.

Irregang hais ich,

mang land wais ich,

min vatter Irrgang was genannt,

er gab mir das erb in min Hand

ob ich in einem Land verdürb

daz ich im andern nimmer zeeren würb’.

Liedersaal Nr C. XXVII.

Huiho! wie der Sturm das Geäst peitscht! Huiho! wie die Wolken am Himmel jagen! Grau, — zerrissen, wüste Gespenster der Nacht. Die alten Götter sind lebendig geworden, haben die Felsen und Bergwände, dahinein sie das Donnerwort der Christenpriester ehemals gebannt, voll klirrenden Zorns zerbrochen, stürmen hervor aus Grab und Nacht und lassen ihre Stimme über das Land tönen, darinnen ihnen früher die Altäre mit blutigem Opfer geflammt! Die Erde zittert unter den Hufschlägen der Geisterrosse, der Buchwald ächzt unter dem Flug der Gewaltigen, und wo der entthronte Göttervater fluchend die Hand hebt, da prasseln rote Blitze durchs Gewölk. Aber sie zerschellen am goldschimmernden Kreuz, das hoch auf dem Kirchturm die Wacht hält, sie gleiten ab an den ehernen Glocken, welche den wilden Spuk der Nacht beschwören, und sie brechen ohnmächtig und verlöschend zusammen vor dem ewigen Lämplein, welches klein und still seine Flamme durch das Heiligtum des Königs aller Könige erstrahlen lässt. —

Da fliehts in den Lüften angstzitternd zurück, ein Heulen, Sausen und Wimmern füllt die Nacht, und die Tränenströme der alten Götter stürzen zur Erde, Tränen der Scham und Reue, und wo sie hinfallen, wächst tausendfache Frucht im Land und wes Menschen Haupt sie treffen, dess Fuss trägt Glück und Segen unters Dach.

Wes Menschen Haupt! Ja, eines jeden, der da geboren ist auf heimischer Scholle, eines jeden, der am eigenen Herd sitzt, dessen Hütte oder Schloss das Haupt des Vaters und Ahnherrn beschattet, dessen Fuss die Wege wandelt, welche die Altvordern für Kind und Kindeskind geebnet! Menschen sind sie mit Namen, Gut und Ehre, Menschen, für die Recht und Richter existieren, Menschen, welche mit erhobener Stirn sicher und geschützt unter guten Freunden und Nachbarn wandeln, — Menschen, welche voll Abscheu, Spott und grausamen Hohn’s jene unglücklichen Kinder der Freiheit verfolgen, die gleich vogelfreiem Wild durch die Lande gehetzt werden! —

Irrfahrend Volk! — Zigeuner und Gaukler, Lumpengesindel voll Teufelei und höllischer Schwarzkunst, Ausgestossene und Verworfene, geächtete Kreaturen, deren Leben weniger wert, als das eines räudigen Hundes ist, — nein, solche Landstreicher sind keine Menschen! Mögen die Tränenfluten der alten Heidengötter noch so gewaltig auf sie niederstürzen, sie waschen den Fluch nicht fort, sie tilgen nimmer das Kainszeichen auf der Stirn, dieses unheilvolle Erbteil, das einzige, welches der sterbende Vater auf Folter und Rad dem Sohn in’s Elend mitgeben konnte! —

Da gibts kein Glück und keinen Stern mehr, da gibts kein Dach, unter welches die flüchtige Sohle den Segen tragen könnte, da gibts nur ein rastlos ziehn und wandern, ein angstvoll hangen und bangen zwischen Volkesgunst und Volkeshass, ein demütigen, betteln, tollkühn wagen — wüster, erbitterter Kampf um’s Dasein, ein darben, überlisten und frohlocken über gelungene Gaunerei.

Wer will irrfahrend Volk in seinen Mauern aufnehmen? Wer nimmt sich den Landstreicher zum Kuecht? wer duldet die schwarze Hexe, die Teufelin, die das Brod auf dem Tisch in Stein, den Wein in Wasser und das Gold in Unrat wandeln kann — unter seinen Mägden? Da ist nirgends eine bleibende Statt für den Zigeuner, wollte er auch, er kann nicht zum Menschen werden, er muss weiter, immer weiter durch Sturm und Sonnenschein, ein Vieh unter den Tieren des Feldes, stehlend, raubend, gewaltsam und listig nehmend, was ihm die harte Hand des Sesshaften versagt, just wie die Wildkatz im Forst, die zum Raubtier wurde, weil man sie im Dorf von der Schwelle jagte! Huh — huiho! — wie die Wipfel brausen und niederbrechen! — Huiho! wie schwarz die Nacht ist! nur wenn die Blitze sprühen, sieht man die Balken des Hochgerichts drüben auf dem Berge gegen den Himmel ragen. — Schauerlich, dunkel und öde ists im herbstlichen Wald. Wagenräder und langsamer Hufschlag haben auf steinigem Boden geklungen, dann wird’s nach kurzem: „Höhü!“ — still. Unter den mächtigen Baumstämmen hervor, bis weit auf die freie Heide hinaus ist eine Karre von kleinem, dunkelstruppigem Rosse gezogen. Zwischen verblühtem Heidekraut und Ginster wird Halt gemacht. Der Himmel flammt auf und beleuchtet für einen Augenblick das plumpe Gefährt, welches durch Stricke zusammen gehalten, auf vier walzenförmigen Rädern ruht. Gebogene Weiden überspannen es gleich den gedrückten Rippen eines Skeletts, und ein starres, vielfarbig geflicktes Regentuch müht sich klatschend, im Sturme darauf fest zu halten.

Das Pferd duckt den mähnigen Kopf, der Strick, welcher ihm als Zügel durch das Maul gelegt ist, hängt schlaff hernieder. Hier bedarfs keiner Vorsicht; Hinde ist kein Pferd wie andere Pferde, sie hat Menschenverstand. — Vor acht Jahren hat Goykos sie dem Jud’ gestohlen, als die Feuerlohe aus Dach und Fugen schlug, als Leut und Vieh wie irrsinnig durch die Strassen rannten und der Sturm wie heute daher pfiff und den Brand über die halbe Stadt hinjagte. — Hinde war damals noch ein gar jung Rösslein und mochte ungern den Trödelkram von Burg zu Burg ziehen, sie wieherte hell auf, da der schlanke, schwarzäugige Gesell sich auf ihren Rücken schwang, da er sich festkrallte in ihre Mähne und seine Lippen leis in ihr Ohr zischten: „Jetzt gilts die wilde Jagd! Fangen sie uns, dann hangen sie uns!“ — und er zwang sie wie mit eisernen Klammern, und hui gings dahin durch Nacht und Nebel!

Fern im Wald, vor den überhangenden Felsen sprang der Goykos von ihrem Rücken und trat an das armselige Lager von Moos und Binsen und lachte, dass seine Zähne blinkten. „Sollst nicht mehr zu Fuss gehen, junge Mutter, sollst mit des Irrgangs Söhnlein daherfahren wie eine Königin!“

Das schwarzäugige Weib hob das Haupt und schaute nach dem Ross und dann traf ihr düsterer, tief umschatteter Blick den Sprecher: „Ich hab die Sturmglocke gehört und den roten Himmel gesehen, — hast um des Pferdes willen Brand gelegt, Goykos? —“

Er wandte sich ab, hob sein neugeboren Knäblein auf die Arme und schwang es in wilder, ungestümer Freude — Jû nârro! Jung Irregang! Haben die Glöcklein zu deiner Geburt geklungen, so sollst du dereinst in dem Schellenhemd einherspringen und ein Spassvogel und Lustigmacher werden! — Dessenthalb wird dir keiner mit Galgen und Rad drohen, denn Schalksliedlein sind keine Teufelskünste, und das grosse Volk der Narren wird seines Gleichen besser verstehen, denn den armen Gaukler, der Steine kaut und Feuer schlingt!“ — Und er warf sich neben dem braunen Weibe nieder, sah ihr mit flackerndem Blick ins Angesicht und sprach durch die Zähne: „Musst auf! Um des Rosses willen. — Spüren sie den Hufen nach und finden sie uns, so ist’s aus. — Nur wenige Stunden über das Stadthege hinaus, dann sind wir sicher und haben das Pferd.“ —

Ein tiefer, schwerer Seufzer ist die Antwort. Hinaus in die Nacht, ruhelos — krank und todesmüd. —

Hinde trägt die Zigeunerin und ihr Kind, und so wild sie zuvor daher gestürmt, so sacht und sorglich schreitet sie jetzt, als wüsste sie, welch eine Last man ihrem Rücken anvertraut. Durch Gebüsch und dornige Wildnis entfliehen sie. Oftmals wirft sich Goykos auf die Erde und neigt lauschend das Ohr. Dann geht’s weiter auf entlegenen Pfaden. Spät erst, als die Sonne wieder am Himmel steht, hebt er sein Weib zur Erde, schüttelt mit keckem Triumphgeschrei die lockigen Haare und streicht ungestüm mit der Hand um den nackten Hals, als fühle er ihn erst jetzt wieder frei vom hanfenen Strick. —

Und dann stieg er auf die Bäume und stahl den Vögeln die Eier, oder legte Schlingen ins Gras und grub die Pfifferlinge aus dem Waldmoos; viel, möglichst viel Nahrung um das Lager seines Weibes zu legen, denn bei Dunkelheit wollte er sich hinab schleichen ins Dorf ... und ob er stets von solchem Gange heimkehrt? — Bah! — Der Goykos ist ein listiger Teufel, der schon manches Bäuerlein hat raten lassen, wo sein Brot und Speck geblieben. Diesmal brachte er eine Karre heim, welche während der Nacht bei der Schäferhütte verblieben, und er sprach abermals hastig flüsternd zu seinem Weibe: „Musst auf! um der Karre willen.“

Wohl war’s besser daher zu fahren als zu gehen, und Zinkras Rock war schon oftmals zerfetzt von verfolgenden Hunden, darum nahm sie ihr Kind in die Arme und entwich abermals hinaus in Nacht und Finsternis. — So stahl Goykos nach und nach alles zusammen, was er noch brauchte, um aus der Schäferkarre ein rollend Häuslein für sich und die Seinen zu bauen, und er zog querfeldein durch Wald und Haide, durch Sommerglut und Winterkälte, ein Mann, der dem Schicksal ein Schnippchen schlägt, lustig mit den Schellen rasselt und zu seiner Narretei singt:

Dieweil ich heut noch pfeif und tanz’

Fault morgen mein Gebeine,

Jûhû! Bei Kann’ und Ridewanz

Und nächtens unter’m Steine!

Spring heute noch durch Laub und Klee,

Jûhû rings um die Linde,

Und morgen tanzt Freund Klapperbein

Mit mir im Abendwinde!“

Goykos konnte mit gar vortrefflichen Kunststücken Rittersmann und Bäuerlein eine Kurzweil schaffen, er schlang wirklich und wahrhaftig brennend Feuer ein, zermalmte feste Steine mit den Zähnen, dass die Zuschauer ein starres Staunen überkam, und er liess buntfarbene Kugeln auf spitzem Stabe tanzen, stand kerzengrad auf dem Kopf und konnte sich auf einem Fasse überschlagen, dass er nicht herniederfiel und zu Schaden kam. — Sein schwarzbraun Weib aber, mit dem Fluch- und Höllenbrand im Blick, wusste gar seltsam zwischen Eiern zu tanzen, schlug das Glockenbrett und die Maultrommel in tobend wilder Weise und sang mit ihrem kleinen Büblein die lustigsten Schalkslieder. Irregang war angetan mit possierlicher Kleidung, wie sie die Narren tragen, rollte sich in ergötzlicher Weise auf der Erde umher und bettelte fürnehmlich die Weibsleute um ein Almosen an. —

Und wenn der Rittersmann just satt und behaglicher Laune war, und der Bürger gut gehandelt und der Bauer siebenfach geerntet hatte, dann nahm man die fahrenden Leute wohl auf und lachte ihrer Gaukelkünste und beschenkte sie, oder beschenkte sie auch nicht, sondern hiess sie in des Satans Namen „ohne die wohlverdiente Straf’ für solche Teufelei“ weiter ziehen! Wenn aber böse Laune herrschte und der Finger des Gauklers zur unrechten Zeit anklopfte, dann musste er sich wohl hüten, den misstrauisch scheelen Mienen gar zu unerklärliche Künste zu zeigen, wenn er nicht der Roheit und Dummheit auf dem Richtplatz als Hexenmeister zum Opfer fallen wollte.

Seit Hinde den Karren mit des Goykos Familie zog, schien das Glück an seinen plumpen Walzrädern zu haften, denn nur zweimal hatte man den Zigeuner mit Not und Tod bedroht, und die Lande, da hinein das Ross seinen Weg nahm, gestalteten sich stets schöner und lieblicher und verringerten die Kälte und das Winterleid, welches dem heimatlosen Volk im Norden gar grausam zugesetzt hatte.

Des Goykos Knäblein und Hinde waren dem Zigeuner gleichsam an einem Tage geworden, und sie gewannen sich auch lieb wie Bruder und Schwester. Dieweil Vater und Mutter ihre Schaustellung gaben, hütete das Ross des nackten Knäbleins im Grase, und als der Kleine heran wuchs, gab’s keinen lieberen Spielkamerad für ihn, wie das kluge, verständige Ross mit der schwarzzottigen Mähne. Ja, die Hinde hatte Menschenverstand, sie lief schneller wie der Wind, wenn die Gefahr auf den Fersen sass, und sie stand stundenlang regungslos in Sturm und Sonnenglut, wenn der Knabe ihr den Hals klopfte und mit seiner leisen, wehmutsvollen Stimme sprach: „Verweil hier, Hinde! ich zieh mein Schellenhemdlein an und treib Spässe, auf dass die Burgfrau mir eine Hand voll Hirse schenkt und der böse Vogt den Vater nicht peitschen lässt!“ —

Goykos nannte seinen Knaben „Purzelmännchen“, weil solch ein Name die Leute ergötzte, und seine Mutter rief ihn zärtlich mit mancherlei Dingen: „kleine Mauskatz“ — oder „Faul Dächslein“ oder auch „Blankguckel!“ — da aber der Kleine ernsthaft fragte, wie denn wohl sein richtiger Namen laute, da nahm ihn der Zigeuner vor sich aufs Knie, fasste sein langes Haar in derber Liebkosung mit der Faust und sang ihm mit Lachen solch ein Lied:

Irregang hais ich,

Mang land wais ich,

Min Vatter Irrgang was genannt!“

und seit jener Stunde rief er ihn „Irregang“.

Huiho! wie der Regen stürzt, — wie der Donner in den Bergen dröhnt. —

Hinde stand mit geneigtem Kopfe und hängenden Ohren und liess die kühlen Bächlein durch die Mähne hernieder fliessen; Goykos aber war unter dem Plantuch hervor gekrochen, hatte die Jacke von sich geworfen und stand mit nackter Brust, wohlig sich dehnend, im kühlen Bade, seitlich der Karre zwischen Ginster und Brombeergerank.

Sein geächtet Haupt hob sich frei und keck auf den stämmigen Schultern, sein Blick haftete zwinkernd auf dem grauenvollen Dreieck schwarzer Balken, welches jählings aus der Dunkelheit tauchte und ihm, feuerumloht als Schreckbild gleichsam in den Wolken zu schweben schien!“ — Und Goykos spitzte die Lippen und pfiff leise ein Spottliedlein auf Henkersknecht und Hochgericht, und dann überlegte er, ob nicht von jenem Balken droben vielleicht ein Strick zu holen sei —; derjenige, welchen Hinde im Maul trug, war mürb und dünn geworden. „Der Regen lässt nach!“ — sprach sein Weib neben ihm, „wenn wir die Zeit wahrnehmen, können wir noch zur Abendstunde, da die Leute in der Halle beim Humpen sitzen, in der Burg Einkehr halten. — Schlecht Wetter ist der Freibrief des armen Volks, — man verlangt nach Kurzweil im Palas.“ —

„Und mich hungert!“ klang ein leises Stimmchen unter dem Regentuch hervor. —

„Sollst hungern! ein voller Bauch kann keine Sprünge machen, und vor der Burgfrau musst du deine Arme und Beinlein verrenken können, auf dass du sie erbarmest — Huhho, Hinde, — schab ab!“ — Goykos der Zigeuner riss am Strick und Hinde zog an. Zinkra aber schlang im Dunkel des Wagens den Arm um ihr Bübchen und tastete in ihrem Fürtuch nach der Wasserrübe, welche sie vor den Augen des hartherzigen Vaters daselbst verborgen, um ihrem darbenden Gauchlein heimlich einen Bissen zustecken zu können. Der Kleine aber schmiegte sich zärtlich an die Mutter und vergass für Augenblicke all sein Herzeleid, und während er voll Heisshunger das karge Mahl verzehrte, starrte er mit seinen dunklen, schwermütigen Augen in die wildjagenden Wolkengebilde hinauf. — Die Hände gegen sein knurrend Mäglein gedrückt, ersann er sich ein neues Lied — voll lauter Spass und Schalkheit, damit die Leute in der Burg lachen möchten. — Er selber lachte so selten, fast nie, er war ein griesgrämiger, unlustiger Bursch, wie sein Vater oft zürnend sagte, und darum bekam er gar viele Peitschenschläge, bis er es lernte, vor fremden Leuten den Narren zu machen. Eine gar absonderliche Gabe aber besass er, das war die Kunst, Verslein zu ersinnen. Am liebsten erdachte er sie voll trüben, wehmutsvollen Inhalts, aber sein Vater herrschte ihn zornig an: ob er etwan ein Totengräber anstatt eines Hanswursts sein wolle? — und Jung Irregang senkte gehorsam das Köpfchen, kratzte eine übermütige Weise auf der Geige und sang zwischen Purzelbaum und Grimasse die ergötzlichsten Schwänk’! — Da lachten die Leute und schrieen: „Jû narro! Du fröhlich Kasperlein!“ und zwickten und neckten ihn und sprachen: „So lustig wie dieser kleine Plippenplapp hat noch kein ander Ganklerkind das spitze Hütlein auf dem Ohr getragen!“ —

Und wenn die Bauern und Bürger ihre Söhne und Mägdlein bei der Hand fassten und wieder mit ihnen heimgingen in die festgebauten Häuser, vor denen die Kleinen ihre Spiele trieben, dann hockte Irregang bei seiner Karre, neben Hinde, und schaute mit langem, sehnsuchtsvollem Blick auf solch ein ewig verschlossen Paradies. — Die Peitsche knallte, und es ging weiter hinein in die Welt, und so jung der Knabe auch noch war, so wusste er doch, dass er keinen Augenblick seines Lebens sicher war, dass beim nächsten Spiel wieder wüste Männer seinen Vater fassen und fortschleppen können, dass man mit Steinen nach ihnen wirft und sie Teufelsbrut und Hexenmeister nennt! — Und wenn sie dem Menschenhass glücklich entronnen und in den tiefen Wald kommen, dann sind sie nicht sicher vor den Wölfen, welche aus dem Dickicht brechen und schon einmal der armen Hinde tiefe Wunden gerissen haben. Nun musste bei Nacht im Walde immer der Kien brennen, der Vater trug die blanke Axt im Ledergurt und auch Zinkra musste eines der langen Dolchmesser, damit sie sonst ihr Kunststücklein trieb, zur ernsten Wehre führen.

O, es war ein hartes, trauriges Los, durch Schnee und Winterkälte, Sturm und Sonnenglut von Dorf zu Dorf zu ziehen, geächtet und verachtet, ohne Heimat und Freunde; — landfahrend Volk. Goykos war ein wildes, echtes Zigeunerblut, ruhelos und friedlos bis in das Mark hinein; das Wandern, Wagen und Stehlen war sein Lebenselement, das leichtsinnige Spiel um Gut und Blut, der waghalsige Kampf gegen Strick und Rad der Nervenreiz, welcher ihm zum Dasein ebenso notwendig schien, wie Wasser und Brot.

Sein Weib hingegen hatte seit jeher einen schweren, träumerischen Sinn gehabt, denn sie war nicht von echter Art, sondern die Tochter einer sesshaften Jüdin, so man wegen des bösen Blicks hatte richten wollen. Mit ihr zu gleicher Zeit aber hatte ein listig Kesselflickerlein, ein brauner Bursch aus den Karpathenlanden im Turm gelegen, und da die Nacht vor dem Halsgericht gekommen, hatte er mit dem Schliesser ein gar pfiffig Spiel getrieben. Selbiger stellte den armen Sündern ihr letztes Roggenmehlsüpplein zum Henkersmahle auf und führte höhnische Reden, dass sie die Magen nicht allzu schwer beladen möchten, sonst reisse am Ende der Strick, daran sie morgen ihr Höllen-Tänzlein ausführen sollten! — Da reichte der Zigeuner ihm eine blanke Kugel dar und sprach: „So du unverwandt auf diesen Knopf schauen willst, bis ich das Häflein ausgelöffelt, will ich dir sagen, wo des Gildmeister Enzerle güldener Schatz vergraben liegt!“ — Sprach’s und schöpfte gelassen seinen Brei. Der Schliesser aber liess sich’s schwören, sass nieder und stierte auf die blanke Kugel. Bald danach verblieb er mit gläsernen Augen wie tot, und der schwarze Bursch schrieb wunderliche Zeichen mit der Hand und strich ihm Stirn und Arme; da ward der Alte steif wie ein Stück Holz. — Solchen Augenblick zur Flucht aber ergriff das arme Gesindel, und alle, die gefangen sassen, brachen aus und liefen an dem schnarchenden Landsknecht an der Pforte vorüber und waren frei. —

Da ist die Jüdin mit dem Zigeuner gezogen, ward eine Gauklerin und schenkte Zinkra das Leben. Aber sie war ein unglücklich Weib und vererbte ihrem schwarzbraunen, heimatlosen Mädel all ihre heisse Sehnsucht nach dem eigenen, festen Herd, davon man sie vertrieben. — Zinkra freite einen Zigeuner, den schönen Goykos, und alles, was auch sie ihrem Knäblein in das Leben mitgeben konnte, war jener Tropfen Blut, welches ein unauslöschlich Heimweh nach der eigenen Scholle, nach Ehr’ und Sessbarkeit nährte. — So war Irregang ein stiller, träumerischer Knabe geworden, den der wilde Sinn des Vaters ängstigte, und der nur ein einzig Glück kannte: seinem traurigen Mütterchen die Lieder zu singen, welche er auf einsamer Fahrt schier erstaunlich zu dichten wusste. —

Zinkra aber fasste die Hand ihres eigenartigen Söhnleins und las die Schicksalslinien, welche hineingegraben, und jauchzte hell auf und sprach: „Wirst einst sesshaft werden und ein ehrlicher Mann sein, Irregang, und wirst über deiner Mutter Leichnam ins Glück springen!„

Der Mond aber brach durch die Wolken, und der Wald zu Seiten des Weges verlief in niederem Knieholz; da sah man eine Burg auf klüftigem Bergfels ragen.

Tief inmitten der wilden Gebirgseinsamkeit lag sie düster und weltvergessen zwischen den endlosen Wäldern, eine trotzige, strenge Gebieterin, davon zeugten die Balken des Hochgerichts auf dem Nachbarberge.

Waren notwendig zu jener unsichern Zeit, da die Buschklepper und Wegelagerer in dem Odenwald ihr Wesen trieben, und manch verwildeter Landsknecht der Friedenszeit vergass und auf eigene Faust seinen Krieg führte, gegen Bauer und Handelsmann, so ihre Packesel hinab gen Frankfurt leiteten.

Goykos wandte sich und wies zu der Burg empor. „Streif dem Bub die Schellen an! Bis der Mond über dem Turm steht, sind wir droben!“ —

Bleiche Strahlen brachen durch die Wolken, und im Weggras zur Seiten raschelte es. Ein Hase lief aufgeschreckt über den Weg. Hinde stutzte und prallte zurück, ein Hieb mit dem Strick brachte sie wieder voran. —

„Der Has’ bringt Unglück, lass uns nicht zur Burg!“ — murmelte Zinkra. —

„Narretei!“

„Im Tal wehen Totenhemden über der Wiese, halt’s Ross und bleib’!“

„Bah! Herbstnebel sind’s! Hühho, Hinde! greif’ aus!“

Goykos pfiff ein übel Schelmenlied, und sein Weib griff hinter sich in den Kasten, nahm das Narrenkleid heraus und streifte es über das nackte, regenfeuchte Körperchen ihres Kindes. — Und dieweil sie den Knaben an die Brust drückte und ihm zusprach, gar übermütig und spasshaft, artig und demütig zu sein, — liefen ihr die Tränen über die Wangen und sie dachte im Herzen: „Es ist an der Zeit, dass sich das Schicksal erfülle, — hat schon manche brave Mutter ihr Kindlein mit Herzblut gesäugt.“ —

Hinde senkte den Kopf; langsam, ganz langsam und zögernd ging’s den Burgberg hinan. —